Die sogenannte „Dresden-Kassette“ der Sammlung Hartmann vor ihrem Transport nach Dresden. (Foto: DBSM / Sina Wieland) |
Etwa 80% der Bestände des weltweit ältesten Museums der Buchkultur, des Deutsche Buch- und Schriftmuseums, verbrannten 1943 im Bombenhagel. Die Reste wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in die heutige Deutsche Nationalbibliothek eingegliedert. Bis heute ist das Deutsche Buch- und Schriftmuseum Teil der Bibliothek.
Unter den vielfältigen Beständen des Museums befindet sich die Sammlung Gerhard & Brigitte Hartmann. Der Objektkünstler und Sammler verbindet auf einzigartige Weise Literatur mit bildender Kunst und Kunsthandwerk. Zunächst bittet er Autoren um deren Texte, am liebsten per Hand geschrieben. Mit diesen Manuskripten treten anschließend bildende Künstlern in einen Dialog und schaffen ein eigenes Werk. Beide Arbeiten werden am Schluss von in einer Handbuchbinderei in ein Behältnis – eine Kassette – eingefasst und somit geordnet und geschützt.
Das jetzt ausgestellte Objekt ist im Kern eine Schöpfung des Dresdner Malers und Grafikers Prof. Ralf Kerbach. Dieser setzt sich bereits 2004/05 in mehreren „Malerbüchern“ mit Gedichten von Durs Grünbein auseinander: „nicht im Sinne einer Illustration, sondern mehr in einer freien Übersetzung vom Text zum Bild“ (Ralf Kerbach). Er „übersetzt“ dabei auch Grünbeins hier enthaltenes Gedicht „O Heimat, zynischer Euphon“.
Soviele Flickerbilder in den Künstlerhirnen,
Gewalt, durch Spiegelscherben exorziert, –
Uns nackte Welpen, Erben hoher Stirnen,
Hat man schon früh mit Nervennelken tätowiert.
Der kranken Väter Brut sind wir, der Mauern
Sturzgeburt. ‚Tief, tief im Deutsch…‘ ertränkt.
Enkel von Städtebauern, Fleischbeschauern:
Jedem die fremde Wirklichkeit. (‚Geschenkt.‘)
‚Bombensplitter?!‘ Gut für Stachelgaumen,
In violetten Babyschädeln installiert.
Sag, welche Schwester drückte ihren Daumen
Ins zarte Fontanell uns ungerührt?
Geröntgt, geimpft, dem deutschen Doppel-Klon,
Gebrochnen Auges, das nach Weitblick giert,
Böse verfallen sind wir, pränatal dressiert.
‚Deutschland?‘… O Heimat, zynischer Euphon.
Kerbachs damalige Zeichnungen bilden die Grundlage für die kräftigen Holzschnitte, die 2013 als Druckgrafiken zu dem hier ausgeklappten Leporello zusammengefasst werden. Erschienen sind diese in einer Auflage von zwölf Exemplaren. Kerbach setzt Grünbeins Zeilen in drastische, schwere schwarze Bilder und morbide Symbole. Eine Nacht voller Schädel. Es ist Kerbachs bislang letztes Künstlerbuch zu zeitgenössischer Literatur.
Als Hartmann nach Jahren endlich Zeit für das Projekt findet, fertigt die Buchbinderin Claudia Grosse aus Lindau (am Bodensee) für das Buch und die zugehörigen Materialien die innenliegende Kassette mit Leinenbezug. Das markante äußere Gehäuse – zerrissener und rostiger Stahl – ist schließlich das Werk des Lindauer Schlossermeisters Karl-Heinz Baas.
Gewalt, durch Spiegelscherben exorziert, –
Uns nackte Welpen, Erben hoher Stirnen,
Hat man schon früh mit Nervennelken tätowiert.
Der kranken Väter Brut sind wir, der Mauern
Sturzgeburt. ‚Tief, tief im Deutsch…‘ ertränkt.
Enkel von Städtebauern, Fleischbeschauern:
Jedem die fremde Wirklichkeit. (‚Geschenkt.‘)
‚Bombensplitter?!‘ Gut für Stachelgaumen,
In violetten Babyschädeln installiert.
Sag, welche Schwester drückte ihren Daumen
Ins zarte Fontanell uns ungerührt?
Geröntgt, geimpft, dem deutschen Doppel-Klon,
Gebrochnen Auges, das nach Weitblick giert,
Böse verfallen sind wir, pränatal dressiert.
‚Deutschland?‘… O Heimat, zynischer Euphon.
Das Leporello des Dresdner Künstlers Ralf Kerbach zu Durs Grünbeins Gedicht „O Heimat, zynischer Euphon“. (Foto: DBSM / Sina Wieland) |
Als Hartmann nach Jahren endlich Zeit für das Projekt findet, fertigt die Buchbinderin Claudia Grosse aus Lindau (am Bodensee) für das Buch und die zugehörigen Materialien die innenliegende Kassette mit Leinenbezug. Das markante äußere Gehäuse – zerrissener und rostiger Stahl – ist schließlich das Werk des Lindauer Schlossermeisters Karl-Heinz Baas.
(Benjamin Sasse)
Ausstellung: 13. Februar - 6. März 2023
Ausstellung: 13. Februar - 6. März 2023
Zentralbibliothek im Dresdner Kulturpalast
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DBSM / Sina Wieland
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