Mit Büchern – so sagt Angela Hampel – „halte ich auch Zeitgeschichte in der Hand“. Bei der „Kleopatra“ von Theophile Gautier erinnert sie sich an die herrlichen Tage, als sie dafür Illustrationen schuf, doch ebenso an die „Zeit der Container vor den Buchhandlungen“, als sie das weggeworfene frischgedruckte Büchlein entdeckte. Auch deshalb schätzt sie die Arbeit von Peter Sodann als Buchfreund und Verteidiger kultureller Leistungen der DDR, der viele Bücher vor dem Müllkippenschicksal bewahrt hat und jetzt in seiner Bibliothek in Staucha sammelt. Zu den aktuellen Befürchtungen von Spiegel online: Staucha steht! Doch die noch nicht eingearbeiteten und ausgelagerten Bücher in Oschatz sollen aus ihrer Räumlichkeit heraus, weil der freundliche Holländer als Besitzer davongeflogen ist. Doch wohin mit der Büchermenge?
Die Sammlung der Bibliothek in Staucha umfasst in zunehmender Vollständigkeit die 40jährige Buchproduktion der DDR von vier Millionen Büchern. Die kompakte Buchproduktion eines Landes kann sinnlich wahrgenommen werden. Woanders muss man wissen, was man sucht. Doch bei Sodann findet man Ungesuchtes, Überraschendes, stößt auf Bücher und Verlage, von denen man schon viel oder noch nie etwas gehört hat. Jeder kann im Angebot der Bibliothek für seine eigene Büchersammlung, ob er sich für Belletristik, Lyrik, Biologie, Mathematik oder Rechtswissenschaft, Statistik, für Philosophie und Kunst oder für Religion, Geschichte oder Politik interessiert, vielfältige Anregungen bekommen. Das komplexe Publikationsgebiet eines Landes lässt Möglichkeiten und Beschränkungen der DDR erkennen und nähert sich zur deutschen Geschichte nach 1945 in gewissem Sinn der historischen Wahrheit an. Das ist kein Anliegen nur einer Partei, denn es geht darum, die Bücher der DDR, ob herausragende Buchkunst oder schreckliche Druckerzeugnisse als eine Verkörperung dieses Staates geschlossen vorzuweisen.
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Peter Sodann (links), hier mit Elmar Faber, Foto © Peter Arlt |
Die Pirckheimer-Gesellschaft, die anregt, schöne, wertvolle Bücher und Grafik zu sammeln, steht dem bewundernswerten Anliegen Peter Sodanns, der selbst ein „Pirckheimer“ ist, nahe. Sie nutzte ihr Jahrestreffen im September, um dieses Kulturdenkmal ersten Ranges zu besuchen, und versprach mit dem neuen Vorsitzenden Ralph Aepler, zur öffentlichen Resonanz und Unterstützung beizutragen. Manche Pirckheimer wünschen den Sammlungsbestand der Peter-Sodann-Bibliothek zu vervollständigen und, soweit Lust dazu besteht, mit wissenschaftlicher und sammlerischer Potenz den Bestand zu durchforschen, um neue Aspekte darzulegen und die Bücher einer Nutzung in die Zukunft hinein zuzuführen. Zum Jahrestreffen widmete der Verleger und Publizist Elmar Faber Peter Sodann seine historisch weitgreifende Festrede, mit welcher er die Zensur in der Weltgeschichte kompakt erfasste und die verschiedensten Formen in der DDR im Licht der scharfen Analyse grell bis satirisch hervortreten ließ.
Angela Hampel (1956) stattete die Jahresmappe für jeden Teilnehmer mit Grafiken aus, über eine Doppelseite hinweg eine farbige Buffet-Grafik mit Liebespaar aus Faun und Nymphe beim Schmaus von Weintrauben unterm Flötenspiel eines Faunes, und eine Grafik zu Christa Wolfs „Kassandra“, ein Fall bibliophiler Buchkunst. Mit der Schriftstellerin auf das freundschaftlichste verbunden, erarbeitete die Dresdener Malerin und Grafikerin Angela Hampel 1984 parallel zur Auseinandersetzung mit deren Buch sieben Blätter zu „Kassandra“, Kopfstudien einer jungen Frau mit ekstatischen Gebärden in Lithographien. Bei ihr wird Kassandra zu einer ganz und gar gegenwärtigen, jugendlichen Frau, einer Punkerin. Sie wird zum Synonym einer ausgesprochen individuellen Lebensart, gegen die das gesellschaftliche Leben – gegen das es aufmüpfig zu provozieren gilt – einförmig und spießig erscheint. Die Künstlerin zeichnete eine fackeltragende Heroin mit Tusche auf Alu-Platte zu einer Algrafie, ein Flachdruck und Lithographie-Variation (vgl. Lothar Lang: „Der Graphiksammler“, Berlin 1979). Darunter schrieb sie Zeilen aus dem Roman „Kassandra“ von Christa Wolf: „Wohin ich blicke oder denke, kein Gott, kein Urteil, nur ich selbst.“ Ein symptomatischer Monolog aus Christa Wolfs Erzählung, der die souveräne Selbstbehauptung dieser Frau und, attribuiert mit der Fackel, ihren prometheischen Geist erleben lässt.
In der kurzzeitigen Stauchaer Ausstellung in den Regalen eines Bibliothekteiles, mit den Bildern vor den Büchern, ließ Hampel den funktionalen Aspekt deutlich hervortreten und betonte die Beziehung, welche die Bilder oft zur Literatur eingehen. Die kleinen Grafiken und Leinwände zeigten mit expressiver Bildsprache und exaltiertem Bewegungsausdruck und Farbkontrasten zwischen rot und schwarz, ihre Themen: Minotaurus, Amazone, Medusen, Frauen mit Tieren, Kain und Abel, Rapunzel ... In vereinfachter, fast hieroglyphischer, Gestalt merkwürdige Paarungen, gefleckte Frauen mit Raubtieren oder im „gewand einer schlange“, wie es die sorbische Dichterin Róža Domašcyna bildhaft fasste. Fische und Vögel umspielen die Köpfe der Frauen mit wehendem Haarschopf, wie Organe, von denen Schutz und Gefahr ausgeht. Hampels „Physiologus“ versammelt keine Darstellungen von Tieren, sondern diese verkörpern Eigenheiten bei Frauen wie Männern, wie das Starke und Verletzende, das Schutzsuchende und Zärtliche, die rasende Leidenschaft und besänftigte Wildheit. Frauen zu Frauen und zu Männern, sinnlich zugeneigt, wie Distanz gebietend. Muster abgründiger Triebe und extremer Lebenssituationen, von einer sich mit ungezügelter Leidenschaft durchsetzenden Selbstbestimmtheit in einer menschen- und tierfeindlichen Umwelt. Als Meisterstück wirkte ihr großes magisches Triptychon „Minotaurus“, Mischtechnik auf Leinwand, je 140 x 120 cm. Unter den dolchartigen Hörnern weist sein Blick aus rötlichem Auge zurück und erschreckt; sein animalischer Körper ist mit ihrem Leib, voll zarter Weiblichkeit, vereint, sie wollen ewig Liebe spüren, ein Totentanz, in beängstigender Unmittelbarkeit.
(Peter Arlt)
Peter-Sodann-Bibliothek, Thomas-Müntzer-Platz 8, 01594 Staucha
Dienstag bis Freitag 8 – 14 Uhr und auf Anfrage 035268 – 949574
Geldspenden an: DE35 850550003150005000, Sparkasse Meißen
In: Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft, hrsg. von Matthias Biskupek, Daniela Dahn, Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Otto Köhler und Eckart Spoo. Interdruck Berger + Herrmann Hannover, 18. Jg., 2015, Heft 21, S. 776-777