Heute erscheint die zehnte Grafik in der junge Welt-Kunstedition: »Meine Masken« von Erik Seidel.
Erik Seidel wurde 1966 im vogtländischen Rodewisch geboren. »Und dann bin ich in Auerbach, Vogtland, aufgewachsen, eine schöne Ecke, landschaftlich toll, und dort hat das auch angefangen mit der Kunst. Ich hatte einen guten Kunstlehrer, der mich so ein bissel bestärkt hat, ich hatte schon als 13jähriger eine Ahnung, dass das in die Richtung Kunst geht.« Gab es ein Schlüsselerlebnis? »Bei uns gab’s soʼne Gruppe von zehn, zwölf Jungs, die immer da waren, greifbar waren, und wir waren bis zum Alter von 14 auf dem Fußballplatz. Dann haben die anderen alle ein Moped bekommen, aber wir waren drei Kinder zu Hause, da war das nicht drin, und das war, sag’ ich mir heute, meine Chance: Die anderen waren unterwegs, und ich war ›übrig‹ und konnte nicht weg und hab’ meine Zeit anders genutzt, z. B. mit Postkarten abmalen, so wie man halt erst mal anfängt, von Ansichten der Moritzburg bis van Gogh. Mein Taschengeld hab’ ich in den Buchladen Buch & Kunst Auerbach getragen, da gab’s diese kleinen Hefte für zwei Mark ›Maler und Werk‹, und da lernte ich die ersten Künstler kennen, auch DDR-Künstler, wie Wolfgang Wegener, Wagner, so ein Hallenser, Otto Knöpfer oder Niemeyer-Holstein; Rudolf Nehmer habe ich früher sehr geliebt, auch heute noch.
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Nach der Armee habe ich erst einmal ein Kunstlehrerstudium begonnen und mich dann relativ spät, 1996, das erste Mal in der Dresdner Kunsthochschule beworben, da war ich schon 30. Ich war ein Jahr Gaststudent – und dann bin ich abgelehnt worden [...] Gleich im Anschluss dann hab’ ich Steinmetz und Steinbildhauer gelernt und hatte aber auch schon mein Lehrerstudium abgeschlossen, hatte mein Referendariat fertig, allerdings noch nie als Lehrer gearbeitet. Von 1997 bis 2002 habe ich bei einer Steinmetzfirma gearbeitet und die schönen Aufträge nach der ›Wende‹ abgearbeitet, so schöne Sandsteinstücke durfte ich machen, das war cool, aber als es dann mit dem Granitzeug losging, mit peinlichen Sachen, Fensterbänke einbauen, da wusste ich, das ist jetzt nicht mehr meins, und hab’ mich in der Schule beworben, und dort auch gleich eine Stelle gekriegt. Seitdem bin ich in Leipzig Kunstlehrer, Schwimmlehrer und Werklehrer an einer Schule für geistig Behinderte
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Ich hatte 1994 an einem Wettbewerb der Stadt Plauen teilgenommen und – für mich ziemlich überraschend – gewonnen. Es ging um eine Bronzeplastik ›Vater und Sohn‹ für Erich Ohser, bekannt als e. o. plauen, die steht jetzt dort vor’m Museum. [...]
Anfang der 2000er Jahre habe ich angefangen, Holzschnitte zu machen, und schon 2004 war ich mit drei dieser frühen Holzschnitte bei ›100 Sächsische Grafiken‹, der Biennale sächsischer Druckgrafik, dabei, und ab da hatte ich das Gefühl, jetzt gehöre ich auch dazu! Es kam also durch die Druckgrafik, durch die Holzschnitte und auch Siebdrucke.«
Und die Bildhauerei? »Ich kloppte auch immer Steine, Sandsteine, bis mir irgendwann mal ein befreundeter Galerist sagte: ›Eigentlich ist das Stötzer für Arme‹, und da dachte ich: Verdammt, der hat recht, und von dem Tag an hab’ ich aufgehört, diese Torsi zu machen.« Künstlerisch konsequent, aber ökonomisch schmerzhaft.
Und die Bildhauerei? »Ich kloppte auch immer Steine, Sandsteine, bis mir irgendwann mal ein befreundeter Galerist sagte: ›Eigentlich ist das Stötzer für Arme‹, und da dachte ich: Verdammt, der hat recht, und von dem Tag an hab’ ich aufgehört, diese Torsi zu machen.« Künstlerisch konsequent, aber ökonomisch schmerzhaft.
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Ich war zuerst in einer erzählerischen Tradition, Heinrich Apel und Bernd Göbel, das gefällt mir auch immer noch, und dieser Maskenmann«, Erik zeigt auf den vor uns liegenden Entwurf für die Editionsgrafik, »der soll jetzt im Herbst auch eine Plastik werden, auch wieder was Erzählerisches.
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Ausstellungseröffnung "Inspiration Käthe Kollwitz" v.l.n.r.: Anna Franziska Schwarzbach, Andreas Wessel, Erik Seidel |
Es muss nicht immer der Tod mit drinstecken.« Aber in unserer Editionsgrafik »Meine Masken« ist ja auch Apokalypse angesagt, wenn auch ohne christliche Konnotation – da ist eher ein irres Kichern im Hintergrund … »Ja, der guckt auch schon wieder ein bisschen wahnsinnig, dabei bin ich eigentlich ein total fröhlicher Mensch.« Mitten in der Apokalypse. »Genau, und weiß leider, oder glaube zu wissen, dass wir der Apokalypse näher sind als der Rettung, ökologisch gesehen. Ich sag’ mir, man kann den Kindern nicht die Wahrheit sagen, also aus meiner Sicht. Es wird auch noch eine ganze Zeit weitergehen, aber die Einschränkungen werden irgendwann größer, und die Verschmutzung wird immer mehr, auch wenn der Mensch immer wieder irgendwas erfindet. Das ist ja das Erstaunliche, das Erfinderische am Menschen, leider ist auch immer ein Pferdefuß dabei!« Da ist nun der rechte Zeitpunkt fürs Klassikerzitat: »Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns«, schreibt Friedrich Engels in »Dialektik der Natur« und mahnt weiter, »dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr (der Natur) angehören und mitten in ihr stehn, und dass unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.
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Ich mag es, wenn andere Künstler schöne Sachen machen, aber ich kann nicht wirklich verstehen, dass man die heute noch machen kann. Jemand sagte mir neulich, gerade deshalb müssen Landschaften gemalt werden, o. k., das ist eine Einstellungsfrage, die Landschaft ist etwas Erhaltenswertes, was Schönes, sehe ich ja ein: Ich zeige euch, wie schön die Erde ist. Wenn ich mir das so einrede, kann ich meinen Frieden mit diesen Arbeiten machen, dann muss ich nicht sagen, hört doch mal auf mit dem Scheiß, seht ihr nicht, wie die Welt wirklich ist?«
[...]
Trotzdem kommt Verzweifeln nicht in Frage (»… man ist halt ein Getriebener«), ganz im Gegenteil ist Erik Seidel im persönlichen Umgang eine energiegeladene Frohnatur und ein »kreativer Macher« (nein, nicht vom Soho House-Zuschnitt …), der mit dem »Vogtländischen Kunstkalender« ein einzigartiges Künstlerselbsthilfeprojekt auf die Beine stellt.
(Erik Seidel im Gespräch mit Andreas Wessel)
gesamten Artikel lesen: junge Welt, 6.8.2022, Seite 14
Ich mag es, wenn andere Künstler schöne Sachen machen, aber ich kann nicht wirklich verstehen, dass man die heute noch machen kann. Jemand sagte mir neulich, gerade deshalb müssen Landschaften gemalt werden, o. k., das ist eine Einstellungsfrage, die Landschaft ist etwas Erhaltenswertes, was Schönes, sehe ich ja ein: Ich zeige euch, wie schön die Erde ist. Wenn ich mir das so einrede, kann ich meinen Frieden mit diesen Arbeiten machen, dann muss ich nicht sagen, hört doch mal auf mit dem Scheiß, seht ihr nicht, wie die Welt wirklich ist?«
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Trotzdem kommt Verzweifeln nicht in Frage (»… man ist halt ein Getriebener«), ganz im Gegenteil ist Erik Seidel im persönlichen Umgang eine energiegeladene Frohnatur und ein »kreativer Macher« (nein, nicht vom Soho House-Zuschnitt …), der mit dem »Vogtländischen Kunstkalender« ein einzigartiges Künstlerselbsthilfeprojekt auf die Beine stellt.
(Erik Seidel im Gespräch mit Andreas Wessel)
gesamten Artikel lesen: junge Welt, 6.8.2022, Seite 14
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