Der Nachlass Wolfgang Borcherts (1921–1947) ist einer der eindrucksvollsten und bedeutendsten Bestände in den Sondersammlungen dieser Bibliothek. Neben der Flachware – also Manuskripten, Briefen, Zeichnungen und Fotografien – beinhaltet der Nachlass auch Borcherts Bibliothek und zahlreiche persönliche Gegenstände wie die Tabakpfeife des Autors, das Buddelschiff „Tui Hoo“ oder ein getrocknetes Seepferdchen. Seit dem 100. Geburtstag des Autors im Mai 2020 können Interessierte den Bestand in der eigens errichteten „Borchert-Box“ vor Ort und in einer virtuellen Präsentation besichtigen. Abgeschlossen ist die Sammlung indes noch nicht, weil immer wieder Briefe, Skizzen oder signierte Bücher auftauchen, mit denen der Bestand ergänzt wird. Jüngst hat die Stabi ihre Borchert-Sammlung um ein besonderes Konvolut ergänzt: Aus dem Nachlass der Schauspielerin Aranka Jaenke-Mamero konnten fünf Briefe von Wolfgang Borchert erworben werden, zu denen der Autor drei handschriftliche Gedichte beigelegt hatte, zwei davon extra für die Adressatin verfasst. Zudem erhielt die Stabi etliche Fotos der Schauspielerin.
Vier der fünf Briefe an Aranka Jaenke stammen aus einer Zeit, in der Borchert sich selbst bereits als Künstler fühlte und inszenierte, aber in den Zwängen seiner Zeit gefangen war. ...
Ein wiederkehrendes Motiv der Briefe ist Borchert-typisch: Er bemühte sich merklich um die Gunst der Unbekannten und machte der zwei Jahre jüngeren Jaenke, die er vielleicht einmal flüchtig beim gemeinsamen Lehrer Gmelin gesehen hatte, absatzweise Komplimente, erhob sie gar zur Verkörperung von „Reinheit und Wahrheit“. Auch bei dieser pathetischen Umwerbung versuchte sich Borchert in einer Inszenierung, die sich in einigen anderen Briefen, die er in der Zeit an andere Freundinnen schickte, ebenfalls wiederfindet. Er selbst sei zwar „als unmoralisches Schwein verrufen“, doch glaube er „immer noch an die Reinheit und das Gute in der Frau“. ...
Hertha Borchert berichtet in ihrer unveröffentlichten, in den 1970er Jahren zu Papier gebrachten Autobiographie von einem Besuch der Eltern Aranka Jaenkes nach der Verhaftung ihrer Tochter. Sie hätten der Familie Borchert wegen der Briefe ihres Sohnes „schwerste Vorwürfe“ gemacht. Und tatsächlich erwies sich Borchert mehrfach als ausgesprochen unvorsichtiger und uneinsichtiger Briefeschreiber. An seine Eltern schrieb er während seiner Grenadier-Ausbildung in Weimar über einen Zug von ausgemergelten KZ-Häftlingen, den er dort gesehen hatte, alte und junge Menschen, die sich krank und elend dahingeschlappt hätten. Obwohl er wissen musste, dass er politisch unter Beobachtung stand und der Brief auch die Empfänger belasten könnte, führte er weiter aus: „Neben diesen armen Kreaturen kam alle zehn Schritt ein Schwein von SS-Mann.“ ...
Nachdem Jaenke nach bestandener Prüfung noch während der NS-Zeit als Schauspielerin gewirkt und in der Nachkriegszeit u. a. als Flugbegleiterin gearbeitet hatte, etablierte sie sich nach dem Krieg als Film- und Theaterschauspielerin sowie als polyglotte Synchronsprecherin und Conferenceuse. Nach dem Tod ihres Mannes Rolf Mamero (1914-1988) startete sie als Serienschauspielerin beruflich noch einmal durch. 1995 trat sie unangekündigt bei der Konferenz „Wolfgang Borchert in neuer Sicht“ auf, erklärte den Anwesenden „Ich bin die Aranka“ und setzte sich in die Mitte der ersten Reihe. Ihre Erinnerungen an Wolfgang Borchert brachten Claus B. Schröder (Draußen vor der Tür. Eine Wolfgang-Borchert-Biographie) und Gordon Burgess (Wolfgang Borchert. Ich glaube an mein Glück) in ihre Biografien ein. Jaenke verstarb am 15. März 2018 im Alter von 93 Jahren in Hamburg.
(Konstantin Ulmer, gesamten Bericht im Blog der Uni-Bibliothek Hamburg)
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