Samstag, 26. März 2016

Hans Tichas malerische Signets

Wie ist Ironie in Bildern erkennbar? Offenbar schwer, stellte der Maler Hans Ticha fest, als in seinen Bildern mit Rote-Fähnchen-Schwingenden kommunistische Propaganda gemutmaßt wurde.
Gemäß dem Slogan von Friedrich Schlegel „Ironie ist Pflicht“ fand Ticha in den gesammelten Zeitungsfotos ironische Sinnzeichen für seine „Hochrufer“ und „Klatscher“, die sich als vermeintliche „Sieger der Geschichte“ auf Parteitagen zur Schau stellten. In Serien führt er die erbsköpfigen „Klatscher“ von 1983 achtteilig vor, rückt die klatschenden Hände monströs in den Vordergrund. Die großformatigen grauen oder knallbunten Bilder mit stereometrischen Figuren wirken, als seien sie „in sattes Öl gehauen“ (Jürgen Rennert). Wie kann man in diesen Unter- und Überdimensionierungen, in den Kugel- und Nullenköpfen und ihrer Gesichtslosigkeit, in den Glättungen, welche die Individualität auslöschen, keine Ironie erkennen?
Hans Ticha, 2000,
Farbholzschnitt (4 Platten)
Tichas Spott traf die parteiideologische Versimplifizierung und die Sinnentleerung der kommunistischen Idee, die als Marxismus-Leninismus in die „Parteikader“, ein Bild von 1984 zeigt sie, eingetrichtert wurde. In der Parteisprache kampfbereit verarbeitet zu Losungen „Plane mit / Regiere mit …“, von Ticha in „LTI II“, Öl, 1983, festgehalten. Darin folgt er Victor Klemperer, der in „Lingua Tertii Imperii“ untersucht hat, wie sich in der Sprache das Wesen hüllenlos offen zeigt.
Vor 1989 standen Tichas Bilder in einem Stapel mit dem Gesicht zur Atelierwand. Polit-Bilder, die nur noch die Frau und der Freund sehen durften. Ticha, der in seiner Kunst auch die Schüsse an der Mauer nicht ignorierte, der aufmarschierende Soldaten in der Bleistiftzeichnung „Deutsches Ballett“ und gröhlende Beifallsbekundungen und Selbstbeweihräucherung verspottet, die unfassbar gesteigert werden in einer Zeit massenhafter Ausreise von jungen Leuten, denen Erich Honecker keine Träne nachweinen will. Trotzdem wirft sich ein „sich selbst applaudierender Staat“, wie Erik Stephan im Katalog festhält, mit Genugtuung in die Brust. Ticha kann also vorweisen, was viele DDR-Oppositionelle nicht in der Schublade haben oder womit sie sich erst ab 1990 zu veredeln suchten. Neben lesenswerten Einsichten kehren in Paul Kaisers Katalogtext Klischees über die DDR wieder, welche die richtige Kritik so vereinfachen, dass sie falsch wird. Wer sich die stilistisch völlig eigenartige Kunst der Schüler von Kurt Robbel – Ronald Paris, Konrad Knebel, Hans Vent, Heinrich Tessmer, Helmut Symmangk und Hans Ticha – vor Augen führt, kann doch nicht behaupten, dass an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee nur ein begrenztes „Arsenal der lizenzierten Stilmittel [exerziert]“ werden konnte. Jeder Kunstfreund in der DDR wusste außerdem, wie man sich einen „Blick in die Kunstgeschichte der Moderne“ verschaffen konnte; an den Hochschulen in Erfurt, Leipzig, Dresden, Berlin, Greifswald wurde sie auch nach Ausbildungsplänen vermittelt; seit 1965 verschaffte die „Intergrafik“ vertieften Einblick; ab 1966 erschienen Bücher und Ausstellungskataloge zum Bauhaus, vor allem die Serie in der Galerie am Sachsenplatz Leipzig; seit 1977 zeigte das Alte Museum in Berlin „Zeitgenössische Kunst aus der Sammlung Ludwig“ und so weiter.
Der Weg des Künstlers Hans Ticha begann Ende der 1960er Jahre unter dem Einfluss seines formenstrengen Lehrers Kurt Robbel, der ihm auf Augenhöhe begegnete und in seiner Folge sah. Zu spüren ist der Einfluss von Oskar Schlemmer, El Lissitzky, Hans Arp, Konrad Klapheck, vor allem von Fernand Léger und den Kubisten. Ticha ist keineswegs losgelöst von der europäischen Moderne. Er wirkt zudem als Pop-Künstler, der aber nach Erik Stephan nicht wie die westlichen Pop-Artisten die reiche Konsumwelt aufs Korn nimmt, sondern die in der kargen DDR sich massenhaft ausbreitende Propaganda. Bei ihr geraten die Menschen, wie das Objekt „Meinungsbildung“ aus Holz und Metall von 1988 demonstriert, in ein Folterinstrument.
Tichas Bekanntheit begründeten Sportbilder, zwar ein Angriff auf des DDRlers liebstes Terrain, aber mit Komik und selbst mit Bewunderung aufgefasst. Welch elegantes paralleles Gleiten im „Eislauf“, 1980, oder das akrobatische Ineinandergestecktsein von Frau und Mann beim „Eislaufpaar“, 1985.
Wenn sich Stuhlbeine in zwei Füßen gründen, der „Rote Bläser“ ohne Mund bläst oder die gemalten Leitz-Ordner in Norm-Format, mit Kantenschutz, Griffloch und 180-Grad-Präzisionsmechanik ein Menschenbild spiegeln, erleben wir bei Ticha Verwandlungen, die allegorischen Sinn tragen.
Tichas Name heißt Stille. Von seinen frühesten bis aktuellen Gemälden sucht er in einer oft stillen, monumentalen Ästhetik nach malerischen Signets und Piktogrammen. Die aktuellen Parteitagsrituale führender Parteien wiederholen ähnliche aufdringliche Erscheinungsbilder, die Ticha schon vorgeführt hat. Seine Bilder lassen sich glatt auf heutigen ausgedehnten Applaus, auf Jubelrufe und unaufrichtiges Demokratiespiel beziehen und fordern neuen Spott heraus. Nun unterwirft Ticha die Waren- und Geldwelt und die Prostitution in grellen Farben seiner ungedämpften Kritik in Ironie.
Jena zeigt mit 70 Gemälden, Objekten und ein paar Zeichnungen eine Retrospektive des 75jährigen Künstlers, eine beeindruckende Schau.
(Peter Arlt in “Ossietzky”, 6, 2016)

Es erscheint ein Katalog (22 €)

Ausstellung: noch bis 10. April 2016

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