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Dr. Irene Selle, Foto © ad |
Gestern sprach Dr.
Irene Selle als Gast der Berlin-Brandenburger Regionalgesellschaft der Pirckheimer im Friedrichshagener Antiquariat von
Katrin Brandel gemeinsam mit Prof.
Christa Ebert in einem brillanten Vortrag über ihren Vater
Rudolf Schottlaender (1900 - 1988), Philosoph, Altphilologe, Übersetzer, Publizist, Zeitzeuge aller politischen Systeme Deutschlands in 100 Jahren, zuletzt mit der Hoffnung auf einen Brückenschlag zwischen Ost und West ...
Seine Erinnerungen unter dem Titel „D
eutschsein fünfmal anders“ wurden von dem Pirckheimer
André Förster in einer erweiterten Neuausgabe neu aufgelegt und mit dem neuen Untertitel „
Erinnerungen eines Unangepassten“ versehen.
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Ninon Suckow und Dr. Irene Selle, Foto © ad |
Für viele ist der Name Rudolf Schottlaender 35 Jahre nach seinem Tod trotz seiner ungebrochenen humanistischen und systemübergreifenden Haltung kaum ein Begriff, obwohl Generationen von DDR-Schülern seine hervorragende Neuübersetzung von
Sophokles’
Antigone aus der Schule kennen und
Proust-Liebhaber vielleicht auch die ersten beiden Bände („
Der Weg zu Swann“) „
Auf den Spuren der verlorenen Zeit“ in der Übersetzung von Schottlaender gelesen haben..
1921 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten, studierte Schottlaender Philosophie in Heidelberg (bei Jaspers und Hoffmann), in Marburg (bei Hartmann) und in Freiburg im Breisgau (bei Husserl und Heidegger), er hatte Kontakt zum George-Kreis, lernte Günther Stern (später: Günther Anders) kennen und heiratete dessen Schwester. Nach der Promotion in Heidelberg übersetzte er als Erster Proust ins Deutsche.
Nur mit Glück überstand er die NS-Zeit.
Nach 1945 unterrichtete er in Berlin. 1947 auf einen Lehrstuhl für Philosophie in Dresden berufen, wurde er bereits zwei Jahre später aus politischen Gründen wieder entlassen. Er kehrte nach West-Berlin zurück, wo er erneut als Lehrer tätig war. Aus Sorge vor einer Verschärfung des Kalten Krieges bemühte er sich um einen Dialog mit der DDR und wurde daraufhin suspendiert. Das bewog ihn, 1959 einem Ruf als Professor für römische Literatur an die Ost-Berliner Humboldt-Universität zu folgen, wo er aufgrund seiner Weigerung, sich politisch vereinnahmen zu lassen, und infolge seiner Sympathie mit Systemkritikern sowie nach einem 1979 ohne Genehmigung erteilten Interview im Westfernsehen bis zu seinem Tod 1988 geheimdienstlich überwacht wurde.
Schottlaender, Rudolf
Deutschsein fünfmal anders, Erinnerungen eines Unangepassten
Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2017
Broschur, 224 S., ill.
ISBN: 978-3-945256-39-8
20 €
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