Fotos © Stiftung Buchkunst / Franziska Holly Geiß |
In der Installation der Bildhauerin bedecken mehrere Tonnen Muschelstücke den Boden zwischen vier Wänden. Wer die betritt, erzeugt mit jedem Schritt ein Knirschen. Viele Schritte erzeugen einen rauschenden Klang.
Der »Shell Reader« ergänzt diese Installation. Schweres Papier ergibt einen mächtigen Buchblock. Allerdings – und das ist so rar wie eine Perle – zeigt der dreiseitige, breite Buchschnitt Scharen heftiger Kratzspuren. Die Blattkanten sind angefräst, während Perlmutt im inneren Buchdeckel schimmert. Diese allegorischen Merkmale von Rauheit und Glanz umhüllen den Inhalt. Er zeigt die harten Schutzhüllen der weichen Meerestiere in Nahaufnahme. Man schaut auf die gut 300 ganzseitig präsentierten Schalenfragmente, als wären es Portraits.
Tatsächlich sind es skelettierte Mollusken, ehemalige Individuen, deren selbst gebaute, gewachsene Behausung man bestaunt wie ein antikes Artefakt. Die riesige Menge von Muschelschalen in der Kunstgalerie repräsentiert die noch riesigeren Mengen, die aus dem Meer gebaggert, zermahlen und als Kalklieferung der Betonindustrie zugeführt werden. Bereits vor 2000 Jahren hatten die Römer:innen Monumentalbauten in Beton gegossen. Das Abstrakte dieses Werkstoffes nimmt das Übernatürliche der modernen Plastikstoffe vorweg.
Nina Canell
Shell Reader
BOM DIA BOA TARDE BOA NOITE, Berlin
ISBN 978-3-96436-057-1
56 Euro
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