Dienstag, 1. April 2025

Bibliophiles des Monats - Die Erstausgaben der Grimm’schen Märchen

Zu den bedeutendsten und am meisten verbreitetsten Werken der deutschen Literatur zählen wohl unangefochten Grimms Kinder- und Hausmärchen. Übersetzt wurden diese Märchen in weit mehr als 100 Sprachen, und seit 2005 gehören sie mit zum Weltdokumentenerbe.

Die Erstausgabe davon erschien 1812 in Reimers Realschulbuchhandlung in Berlin unter dem Titel „Kinder- und Haus-Märchen gesammelt durch die Brüder Grimm“, und 1814, vordatiert auf 1815, ein ergänzender Zweite Band. Jedoch der erhoffte kommerzielle Erfolg stellte sich nicht ein, und von etlichen Seiten gab es recht harsche Kritik.

Heutzutage gehören diese beiden Bände mit zu den seltensten und teuersten deutschen Büchern. Im Auktionshaus Venator & Hanstein aus Köln zum Beispiel wurden sie unlängst für 120.000,00 Euro angeboten, und der Zuschlag erfolgte erst bei 170.000,00 Euro. Allerdings Auktionsgebühren und Mehrwertsteuer sind darin noch nicht mit enthalten.
Ansicht des 3. Bandes, aufgeschlagen, Foto bfs
In jener Erstausgabe von 1812 wurde auf Seite 147 an 33. Stelle das Märchen über einen Gestiefelten Kater aufgenommen. Dieses wurde ihnen neben etlichen anderen von den Geschwistern Hasenpflug aus Hessen erzählt.

Jedoch nachdem sich herausstellte, dieses Märchen sei unter Le Maître Chat ou le Chat botté schon in der französischen Sammlung Charles Perraults von 1697 mit enthalten, entfernten die Grimms den Gestiefelten Kater kurzentschlossen aus ihrer Sammlung.

Ab der zweibändigen stark überarbeitete zweite Auflage von 1819, die dann maßgeblich für alle folgenden autorisierten Veröffentlichungen der Kinder- und Hausmärchen wurde, taucht dieses Märchen bei ihnen nicht mehr mit auf.

Und uns erscheint es daher verwunderlich, wie oft der Gestiefelten Kater unkritisch dennoch bis hin zur Gegenwart für ein Grimm’sches Märchen gehalten wird.

Die Auflagenhöhe dieser zweiten vermehrten und verbesserten Auflage umfasste maximal 1500 Exemplare in einem veränderten fast quadratischen Format.
1822 erschien im selben Format noch ein dritter Band, der ausschließlich wissenschaftliche Anmerkungen sowie Quellenangaben zu den jeweiligen Märchen enthält. Dessen Auflagenhöhe soll sogar nur halb so hoch wie die Auflage der Märchen gewesen sein. Erst 34 Jahre später wurde davon eine weitere Auflage gedruckt.

Die Abbildung zeigt das Titelblatt eines seltenen unbeschnittenen Exemplars aus Privatbesitz. Auf den ersten Blick erscheinen die Angaben dieses Titelblattes irreführend, bedeuten jedoch: Es ist der dritte, die Märchenbände der zweiten Auflage ergänzende Band.

Ab 1825 wurde bei Reimer eine so genannte „Kleine Ausgabe“ mit der Auswahl von 50 Märchen verlegt, die auch wegen der beigefügten Illustrationen breiten Anklang fand. Ihrem Duktus nach war sie durch Überarbeitungen ganz speziell auf Kinder ausgerichtet. Und die Nachfrage war so enorm, dass selbst zu Grimms Lebzeiten noch zehn weitere Auflage gedruckt werden mussten.

Unbestritten verdienen es die Brüder Grimm auf vielfältigste Weise postum geehrt zu werden, für ihr Deutsches Wörterbuch nicht minder wie für ihre Märchensammlung.

Erfreulich daher die 1986 in der DDR vorgenommene offizielle Würdigung durch Prägung einer attraktiven Gedenkmünze aus Anlass des 200. Geburtstages der Brüder Grimm. Was jedoch die dafür Verantwortlichen dazu bewog, als Bildmotiv - und das ist kein Aprilscherz – völlig unpassend den Gestiefelten Kater zu wählen, bleibt im Verborgenen.

Fazit: Wenn man Unwahrheiten nur oft genug als wahrhaftig deklariert, dann hat die Wahrheit kaum noch eine Chance.

(Bernd Friedrich)

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