„
Suche nicht, finde!“. Wieder hat mir mein Leitspruch, der mich beim Schlendern über Flohmärkte begleitet, einen Fund beschert, den ich mir schöner nicht hätte ausdenken können. Ein unscheinbarer Pappumschlag in hellem Gelbbraun, darauf ein Holzschnitt mit Faunen und Putten, umrahmt von einer Bordüre mit stilisierten Ranken, ein dünnes Oktavheftchen, unbeschnitten, mit Klammerheftung und mit winzigen Gebrauchsspuren an den Vorderecken.
Das Heft enhält eine Abhandlung des Frankfurter Antiquars Leo Baer über eine seltene Form von Buchumschlägen und Kartonnagen mit Holzschnittverzierungen, von denen er 13 Stücke, teils aus seinem eigenen Besitz, beschreibt. Es ist in 200 Exemplaren hergestellt für die
Frankfurter Bibliophilen-Gesellschaft aus Anlass ihrer ersten ordentlichen Mitgliederversammlung am 25. Februar 1923 von
M. Sondheim, Dr.
Leo Baer und
Edwin Baer. Der Umschlag ist die Nachbildung einer venezianischen Kartonnage der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts im Besitze von
Joseph Baer & Co., Frankfurt a. M. Besonderen Wert erhält das Exemplar Nr. 76, das mir als Zufallfund in die Hände kam, durch ein unscheinbares Exlibris innen auf dem Vorderdeckel (1,3 X 4,4 cm) mit dem Aufdruck „Ex libris /
Bernard M. Rosenthal“.
Den Wanderweg des Büchleins stelle ich mir so vor:
Jacques Rosenthal, Münchener Antiquar, ist der erste Besitzer, der es auf der Flucht vor den Nazis nach Florenz rettet, wo er seine Firma weiterführt, bis auch in Italien ab 1838 die Juden verfolgt werden. Danach Umzug nach Paris und Anfang der 1940er Jahre Umzug nach New York, wo Bernard M. Rosenthal, ein Sohn von Jacques Rosenthal, 1953 sein Antiquariat eröffnet. Von dort 1970 Umzug nach San Franzisco, von dort 1988 nach Berkeley, Kalifornien. Rosenthals Spezialgebiete als Antiquar waren mittelalterliche Texthandschriften, Inkunabeln, Alte Drucke und Paläographie. Er war von 1968 bis 1970 Präsident der
Antiquarian Booksellers Association of America und starb am 14. Januar 2017 in Oakland.
Wie aber der Druck aus seinem Besitz auf den Berliner Flohmarkt gelangte, ist ein Rätsel, das zu lösen mir nicht möglich sein wird.
(Ulrich Goerdten)
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