Montag, 30. Dezember 2024

C. G., Ein lieblich A. B. C. in Versen

Das Buch des Monats Januar der Schweizerische Bibliophilen-Gesellschaft ist "C. G., Ein lieblich A. B. C. in Versen".

Wenn ein Autorname auch nur – nein: ein Glück, wo er immerhin – auf dem Buchrücken steht, so hat man eine gute Spur. Es handelt sich hier um ein Werklein in Duodez, Rückenhöhe 11 cm. Ein undatierter Besitzeintrag lautet auf Anna Katharina Sulzer. Das maßgefertigte Rückenschild ist trotz nutzungsbedingter Strapazen in wesentlichen Teilen auf uns gekommen. Ins leicht konvexe Schriftfeld gedrängt, steht quer zweizeilig: «Gregors A.B.C», goldgeprägt, der dankbar kurze Name in eng spatiierter Kursive, der dito Titel in Antiqua-Versalien.
Unterstützt durch das zwar äußerst dissimulativ bedruckte, dafür hübsch à la Boucher geschmückte Titelblatt (o. O., o. J., o. Dr., Verf. «C. G.») und eine entsprechende Google-Suche landet man, dem Schildchen sei Dank, unschwer beim Herrnhuter Bruder, Komponisten und Schriftsteller Christian Gregor – a very Christian Gregor, indeed –, geboren am 1. Januar 1723 in Dirsdorf [Przerzeczyn-Zdrój] bei Nimptsch [Niemcza], gestorben am 6. November 1801 in Berthelsdorf bei Herrnhut in der Oberlausitz (Wikipedia). Er zog halberwachsen nach Herrnhut, d. i. in die 1727 durch Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf befestigte Sekten-Gemeine, und begann 1742 dort als Organist und Liturg zu wirken.
Am ehesten wohl in der Vignette lieblich – ansonsten vor allem ‹erbaulich› –, ist Gregors A. B. C. wirklich ebendies, nicht etwa Alphabet ‹von A bis Z›. Seine Vierzeiler laufen über 181 quasi-quadratisch beschnittene Seiten von «A. B. C.», «A. und O.», «abändern», «Abba» über «abgethan», «abgeneigt», «abgewöhnen» und «abhangen» bis «Crone», «Cur» und hin zuallerletzt zu einem «Cypressen-Zweiglein». Die abecedarisch zählenden Wörter sind um ein Geringes größer und gesperrt gesetzt, dadurch dezent hervorgehoben aus dem Vers-Kontext.
Die griffige Vierhebigkeit, die schon im Titel anklingt – ein lieblich A. B. C. in Versen –, zieht sich, konsequent kreuzgereimt, durch den ganzen «A»-Abschnitt. Ab der 106. Seite im Kapitel «B» schreitet Gregor etwas holpriger auf fünf Füßen und in Paarreimen weiter («Wenn jemand mich auf einen Backen schlägt, / um Jesu will’n, aus Feindschaft, die er hegt, / so soll ich ihm den andern auch herhalten; / o daß der Sinn stets in mir möge walten»), um im ungleich kürzeren Schlussteil «C» ab Seite 170 seinen ABC-Helden-Gesang vollends variabel ausklingen zu lassen, gleichsam unter der Kreuzeslast stolpernd, in regellos vier- oder fünfhebigen Metren rund um einen kadenzierenden Zweifüßer als vorletztem Vers jeder Strophe, weiterhin paargereimt (mitunter identisch, wenn etwa zwei sukzedierende Zeilenenden in «Cymbeln» ausbimbeln). Indes leidet auch die Textphysiognomie unter gehäuften Doppelsenkungen («Wer sich krank fühlt, und doch wünscht zu leben») oder sonstwie satzspiegelsprengendem Letternreichtum («Wer mir, wenn das Grab mich wird umschanzen»), kurz: sie krankt an öfter nun umbrochenen Versen bei notgedrungen verringerter Interlineardistanz, – vom Wasserrand gar nicht zu sprechen.
Das o. O., o. J., o. Dr. ließe sich, nach dem «C. G.», vielleicht auch noch auflösen. Aber genug aus Herrnhut für diesmal – oder, mit den Kreuzzügen des Philologen zu schließen: «Für Kinder, denen man den Brey fertiger Bissen in den Mund schieben muß, gehören Schriftsteller, die gründlichere Lehrmeister sind, als ein Notenschreiber seyn darf. Kennern und Liebhabern, die selbst Anmerkungen zu machen wissen, fehlt es nicht an der Gabe anderer ihre anzuwenden, und an der Behändigkeit die Ellipses [...] aufzulösen.»
Mit bestem Dank an Daniel Thierstein,
A. M. aus B.,
M. A., o. Dr.

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