Montag, 3. März 2025

Exlibris des Monats März 2025 – Norbert Salzwedel für Dr. Volker Büsing

Ein junger Mann schneidet einem Pferd die Haut auf – soweit die brutalen, sofort ins Auge springenden Fakten. Mit etwas Hintergrundwissen erschließt sich das Kupferstich-Exlibris von Norbert Salzwedel (Zur Sage von Grettir – Grettir schändet Keingala, 159 x 130 mm) allerdings tiefgehender:
Der Auftraggeber, Dr. Volker Büsing, Sammler von Pferde-Exlibris, hatte hier eine Episode aus einer Isländersaga als Thema gestellt. Grettir der Starke (auch „der Geächtete“ genannt) wuchs im 10. Jh. n. Chr. auf dem Hof Bjarg im Nordwesten Islands auf. Das reizbare Temperament seiner Vorfahren schlug bei ihm voll durch. Er war aufmüpfig und sträubte sich gegen jedwede vom Vater aufgetragene Arbeit. Es ist Winter und die Pferde müssen nach draußen geführt werden, um sich unter der Schneedecke frisches Gras freizukratzen.
Das Leittier ist die Stute Keingala, und aufgrund der kargen Futtersituation bleibt sie normalerweise lange auf der Weide. Zu lange für Grettir, dem dann zwischenzeitlich immer sehr kalt wird. Natürlich hat Grettir null Bock den ganzen Tag bei der Kälte auf die Pferde aufzupassen und sich dann auch noch nach einer Stute zu richten, wie uncool! Daher will er sich die Eigenheit der wetterfühligen Stute, die weiß, wann ein Schneesturm kommt, zunutze machen. Denn die Stute drängt bei diesem Wetterphänomen deutlich früher zurück in den Stall. Grettirs Lösung: Nachts schleicht er sich lautlos – man beachte, barfuß! – in den Stall und schneidet dem Tier die Haut auf. Die schwerverwundete Stute geht trotzdem morgens ins Freie, hält es aber nur bis Mittag aus. Also rechnet man mit einem Schneesturm und Grettir kann früher Feierabend machen, Ziel erreicht. Drei Tage geht das so, ohne Schneesturm, dann schöpft der Vater Verdacht und entdeckt die Verletzungen an seinem Lieblingspferd – er muss es nottöten. Grettir erhält keine weiteren Aufträge vom Vater. Er entwickelt sich zum stärksten Mann Islands heran und ist die letzten 18 Jahre seines Lebens ein Geächteter. Zurück zum Exlibris. Norbert Salzwedel gehört zu den wenigen Grafikern, die sich auf Kupferstiche spezialisiert haben. Die Herausforderung dieser Technik liegt darin, alles aus der Linie und dem Punkt zu entwickeln: Stofflichkeit, Plastizität und Helldunkel, malerische wie graphische Wirkungen. Stets arbeitet der Künstler gegen den Materialwiderstand an. War es früher eine alltägliche Reproduktionstechnik, so ist es heute eine bewusste künstlerische Entscheidung, in Kupfer zu stechen – gleichfalls ein Akt der Entschleunigung. Bis zu 3 Stunden täglich hat Norbert Salzwedel ca. einen Monat lang an der Platte gearbeitet. Über 10 Probedrucke wurden genommen, ehe das Endresultat erreicht war. Der Künstler vermeidet dabei die kalte Perfektion, die gestochene Blätter manchmal haben können, und überlässt nichts dem Zufall – jede Geste ist genau berechnet, jeder Strich bewusst gesetzt:
An den wilden Ausweichbewegungen ist der Schmerz des Tieres sichtbar, das erhobene rechte Vorderbein unsichtbar und nur am Schattenwurf zu erkennen. Soeben hat Grettir den ersten Schnitt gesetzt, gleich wird der erste herabfallende Blutstropfen den Boden des Stalles rot färben. Ungezügelte Wut liegt im Gesicht des jungen Mannes, entsprechend Angst und Qual im Gesichtsausdruck des Pferdes. Grettirs Blick ist auf sein Messer gerichtet, Keingalas trifft den Betrachter. Man könnte meinen, die misshandelte Kreatur flehe uns um Hilfe an. Meisterlich setzt der Künstler diese Gedanken des Eigners um.
Zwangsläufig stellt sich bei diesem Exlibris die Frage des menschlichen Umgangs mit anderen Lebewesen. Rechtfertigt die wilde Art des jungen Grettirs sein brutales Verhalten gegenüber dem Pferd? Dies mag der Betrachtende für sich selber entscheiden. Was Realität und was Phantasie in dieser Isländersaga ist, mag hingegen die Forschung beurteilen. Die Episoden von Grettirs Heldentaten im Kampf gegen Trolle und Untote sind sicherlich frei erfunden. Aber es existieren sowohl ein steinernes Monument als auch zahlreiche Abbildungen und Illustrationen, die an einen Mann erinnern, dessen Lebensweg mit Leichen gepflastert war. Somit lebt er in den Erinnerungen der Menschen weiter, hoffentlich als Mahn- und nicht als Ehrenmal.
In diesem Exlibris wird im wahrsten Sinne des Wortes der Finger in die Wunde gelegt, wird einem Opfer, und damit stellvertretend auch anderen geschundenen Kreaturen, eine Stimme gegeben. Damit trifft eine alte Saga auf ein brandaktuelles Thema unserer Zeit.

(Andreas Raub)

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