Freitag, 1. November 2024

Buch des Monats_ Luis Krausz, O outono dos ipês-rosas

Buch des Monats der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft ist Luis Krausz, O outono dos ipês-rosas (Im Herbst der rosaroten Ipê-Bäume)

In diesem neuen Roman begleiten wir Martin Stieglitz, den Erben einer europäischen Familie aus der ehemaligen Donaumonarchie, die vor den Nazis nach Brasilien geflohen ist, auf seinen Wegen durch die Megacity São Paulo. Martin Stieglitz liebt es, durch die Straßen des Jardim Europa zu spazieren, die Gartenstadt, wo er in der Rua Suíça wohnt. Der Roman gliedert sich in zwei Teile – eine Gegenwart voller Gefahren und eine verklärte Vergangenheit unter dem Doppeladler, die mit der Zeit immer mehr verblasst.

Das Viertel Jardim Europa spielt im Leben des Protagonisten eine dominante Rolle. Beim Durchstreifen dieser Straßen bewahrt er sich seine Erinnerung an Europa und seine Kultur, bestehend aus klassischer Musik, der Kunst der Avantgarde und der Literatur aus der Zeit der Habsburger, die ledergebunden in seiner Bibliothek, genannt Stübchen, auf ihn wartet, sobald der Herbst naht. Martin Stieglitz ist eine Art Streetwalker auf den Spuren von Charles Baudelaire, der aber nicht durch die Passagen von Paris schlendert, sondern durch das Gartenviertel einer chaotischen, bedrohlichen Megalopolis in Südamerika

Während der erste Teil des Romans, Die unsichtbare Stadt, der Introspektion des Protagonisten gewidmet ist, steht im zweiten Teil, Die sichtbare Stadt, eine Party im Haus des steinreichen Marchand de Tableaux Martin Fuchs im Vordergrund. Das Erbe der europäischen Kultur wird zur Ware, die Sicherheit einer Gated Community beherrscht die Szene. Bei diesem Empfang wird deutlich, wie sehr Martin Stieglitz eine Rara avis ist, mit seiner Vorliebe für die Musik, die Literatur und die Erinnerung. Nicht von ungefähr spielt der Roman im Herbst, einer Jahreszeit, auf die in Europa der Winter folgt, wenn auch nicht in Brasilien.

Die Spaziergänge durch die Gartenstadt im Herzen von São Paulo enden im Jardim Paulistano vor einer seltsamen Skulptur: es ist eine einarmige Harfenistin: die Linke hält das Instrument, die Rechte greift ins Leere – ein abgründiges Symbol für den Niedergang der europäischen Kultur.

Nun eröffnet in diesen Tagen das Zentrum Paul Klee seine große Ausstellung Brasil! Brasil! Aufbruch in die Moderne – der richtige Zeitpunkt, um auch diesen ausgezeichneten Roman von Luis Krausz ins Deutsche zu übersetzen.

(Albert von Brunn, Zürich)

Luis Krausz, O outono dos ipês-rosas,
Recife: Cepe Editora, 2024

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