Das Konzept des Automatenbuchs stammt nicht von Reclam, wie im vorigen Post angeführt - Ulrich Goerdten fand in der Nationalzeitung von 1891 einen Hinweis von Johannes Trojan über einem Buchautomaten, mit welchem bereits die „Zehnpfennig-Bibliothek“ vertrieben wurde:
"Ein Kind hatte, wie mir erzählt wurde, auf einer Schulpartie in Hakenfelde bei Spandau aus einem Automaten gegen den üblichen Einwurf von zehn Pfennigen ein Büchlein gezogen, das Liebesgeschichten enthalten sollte. Die Sache interessirte mich. Ich hatte noch nie gehört, daß der Automat überhaupt Literatur ausscheidet; außerdem erschien es mir wünschenswerth, zu erfahren, welcher Art von Literatur der Inhalt jenes Büchleins wohl angehöre. Daher versuchte ich, es mir zu verschaffen und das gelang mir. Das kleine Buch ist Nr. 5 der „Zehnpfennig-Bibliothek“, welche im automatischen Alleinvertrieb der Aktiengesellschaft für automatischen Verkauf sich befindet. Es führt den Titel „Aus Bädern und Sommerfrischen“ und enthält fünf Humoresken, welche von E. Wengraf, Kapff-Essenther, L. Ungar, O. Justinus und Bertha Katscher verfaßt sind. Ich will sogleich sagen, daß alle diese fünf Sachen, wie auch jeder schon aus den Namen der drei Verfasser und zwei Verfasserinnen folgern wird, durchaus harmloser Natur sind. Es ist nichts dabei, was an das grünste Deutschland, ja nicht einmal etwas, das an Ibsen erinnert, der doch gegenüber den am weitesten auf dem Gebiet des Realismus Vorgeschrittenen bereits als „unbedarwter“ Waisenknabe erscheint. Es ist leichter, anspruchsloser Humor und zum Theil ganz nett sogar. Besonders die Geschichte von O. Justinus, welche sich „Die zerstreute Familie“ betitelt, ist drolliger Art und lustig zu lesen. Allerdings handeln einige dieser Geschichten von Liebe, ich kann aber durchaus nichts Gefährliches darin sehen, daß Kinder, auch wenn sie noch den unteren Schulklassen angehören, dergleichen lesen. Wie früh werden unsere Kinder auf dem Gymnasium schon mit den rührenden Liebschaften des Pyramus und der Thisbe, der Hero und des Leander bekannt gemacht! Ja, früher schon werden sie in die „Verhältnisse“ des Vater Zeus eingeweiht, die denn doch mehr oder weniger bedenklicher Natur sind. Vom moralischen Gesichtspunkte aus also habe ich gegen diesen Literaturvertrieb durch den Automaten, wenn alle anderen Nummern des Verlages ebenso harmlos sind, wie diese Nr. 5, nicht das Geringste einzuwenden. Ja, es erscheint mir in hohem Grade anerkennenswerth, daß für 10 Pfennige eine solche Menge leichten, unschädlichen Humors geliefert wird. Das Eine, was ich nicht begreife, ist unsere heutige Jugend. Wäre es uns in meiner Jugendzeit eingefallen, uns für zehn Pfennige, wenn wir sie gehabt hätten, von Automaten, wenn solche damals vorhanden gewesen wären, humoristische Literatur liefern zu lassen? Nein, gewiß nicht! Wir hätten uns immer nur an diejenigen Automaten gehalten, welche Chokolade oder Bonbons hergaben und nur diese für reell erachtet. Lieber Himmel, was für Genüsse konnte man sich damals schon verschaffen für einen Silbergroschen, wenn man ihn hatte! Man hatte die Wahl zwischen Zuckerkant, Gestenzucker, Reglise, Süßholz, Zündhütchen und Knallgummi. Alle diese Dinge schätzten wir damals höher als geistige Genüsse. Waren wir darum schlechter oder besser als die heutige Jugend ist? Ich fürchte, wir waren sehr viel schlechter. Wir hatten keinen Sinn für Humor und für die Literatur überhaupt. Darum ist auch aus uns nichts Rechtes geworden."
(Johannes Trojan, National-Zeitung, 7. Juni 1891, Morgenausgabe, 1. Beiblatt, S. 2)
(Johannes Trojan, National-Zeitung, 7. Juni 1891, Morgenausgabe, 1. Beiblatt, S. 2)
2 Kommentare:
Peter Verheyen hat gesagt …
Tolles Thema, und gibt noch mehr dazu.
Beide (vielleicht) leider auf Englisch...
Beide (vielleicht) leider auf Englisch...
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07. Februar 2016
Abel Doering hat gesagt...