Schon einmal, im Bibliophilen-Blog vom 15. Februar 2014, wurde ein unbekannter Text des Zeichners und phantastischen Schriftstellers Paul Scheerbart vorgestellt, und schon wieder ist ein weiterer gesichtet worden, der am 30. April 1890 in der „Täglichen Rundschau“ erschienen ist und den Titel trägt „Das altorientalische Museum zu Berlin“. Der Text war, wie die alsbald durchgeführte Suche ergab, den Scheerbart-Bibliographen, den Herausgebern der „Gesammelten Werke“ und den Scheerbart-Forschern noch nicht bekannt. Dabei ist die Verwendung altorientalischer Motive bei Scheerbart schon mehrfach untersucht worden, so von Mechthild Rausch, der Herausgeberin vieler Scheerbart-Texte. Die wichtigste Arbeit zu diesem Thema stammt von dem FU-Germanisten Peter Sprengel. Sie ist im „Jahrbuch preußischer Kulturbesitz“ von 1992 erschienen und befasst sich unter dem Titel „Museums-Poesie“ mit „Archäologie und Ästhetik in Scheerbarts assyrisch-babylonischen Novelletten“. Sprengel weist nach, dass Scheerbart ein „Verzeichnis der Bestände des altorientalischen Museums“ von 1889 benutzt hat, aus dem er Namen, historische Fakten und Einzelobjekte für seine Texte gewonnen hatte. Wie gut Scheerbart aber die Kunst des Alten Orients aus eigener Anschauung kannte, konnte bisher nur vermutet werden. Der neue Textfund bestätigt, dass Scheerbart die Sammlungen der Berliner Museen genau gekannt hat. Das belegt auch ein (bekannter) Paralleltext Scheerbarts aus derselben Zeit, in dem er die Bestände des ägyptischen Museums beschrieben hat. „Der Orient, der in Scheerbarts Werken vielmehr psychologischer Topos als realer Ort ist, blieb zeitlebens Spiegel und Projektionsfläche seines Gefühlslebens“ schreibt Mechthild Rausch.
Was ergibt sich aus dem neuen Textfund? Die Scheerbartforschungen sind um einen kleinen Zuwachs an Kenntnissen bereichert worden, eine Leerstelle wurde mit dem genau passenden Objekt gefüllt. Den Herausgebern der Gesammelten Werke Scheerbarts und den Bibliographen wird ein erneuter Wink gegeben, der sie auf die Lückenhaftigkeit ihrer Textkenntnisse hinweist. Und drittens wird der Zeitungs- und Feuilletonforschung deutlich gemacht, daß die Inhaltserschließung der Zeitungen des 19. Jahrhunderts (ein schon vor Jahrzehnten angestrebtes, nie aber realisiertes Projekt) eine Aufgabe ist, deren Erledigung immer dringender erscheint.
(Ulrich Goerdten)Durch Klick auf den Ausriß kann der Artikel gelesen werden.
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