Sonntag, 2. November 2025

Michi Strausfeld, Die Kaiserin von Galapagos

Das Buch des Monats November der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft ist ein Plädoyer für Lateinamerika.
«Ein umfassendes Werk, das in vielen Ländern des Kontinents entstand, schuf Johann Moritz Rugendas (1802-1858). Er betätigte sich sowohl als Landschafts- wie später als Porträtmaler. Schon als Neunzehnjähriger konnte er mit der Expedition von Baron von Langsdorff nach Brasilien reisen. Er war als Zeichner engagiert» (1). Der aus der Reichsstadt Augsburg stammende Rugendas bereiste nacheinander Haiti, Brasilien, Chile und Argentinien. Bei der Überquerung der Anden passierte ihm ein folgenschwerer Unfall: Das Pferd scheute, vom Blitz getroffen, der Reiter stürzte zu Boden und verletzte sich so schwer, dass er bis zu seinem Lebensende ein Gezeichneter blieb. Der argentinische Schriftsteller César Aira (2) schildert diesen Schicksalsschlag in seinem Roman Eine Episode im Leben des Reisemalers: «Tatsächlich, das Pferd kam hoch, struppig und monumental, das Gewebe der Blitze halb verdeckend und seine Giraffenbeine knicksten in störrischem Trippeln […]. Rugendas aber ging mit. Er konnte und wollte das nicht begreifen, es war zu monströs».
"Praÿa Rodriguez" aus: Johann Moritz Rugendas Malerische Reise in Brasilien (Paris, 1835)
Die Geschichte des Reisemalers steht exemplarisch für die wechselvollen Beziehungen zwischen Deutschland und Südamerika, die Michi Strausfeld in ihrem neuesten Buch nachzeichnet, beginnend mit dem Büchsenschützen Hans Staden (1525-1576), der beinahe von den Tupinambá-Indios verzehrt worden wäre, über den Giganten Alexander von Humboldt (1769-1859) und dessen fünfjährige Reise durch Lateinamerika (1799-1804) bis zu den Emigranten des 20. Jahrhunderts, die vor Hunger, Krieg oder der Verfolgung durch die Nationalsozialisten nach Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Bolivien oder Kuba flohen. Auch die Schattenseiten dieser Wechselbeziehung werden nicht verschwiegen – die Rattenlinie der Nazi-Schergen, die jahrelang in Argentinien, Bolivien oder Brasilien untertauchen konnten. Zur kuriosen Spezies der Abenteurerinnen gehört Margret Wittmer (1904-2000), die auf der Insel Floreana lebte und als «Kaiserin von Galapagos» in die Skandalchronik einging.
Ein besonderes Augenmerk gilt den Autoren des sogenannten «Boom» und seiner Rezeption in Deutschland, die mit Hundert Jahre Einsamkeit (1970) von Gabriel García Márquez (3) einsetzte, in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte und nach dem Mauerfall unaufhaltsam zurückging. Symptomatisch für die Wahrnehmung der Autoren aus Lateinamerika sind die Daten der Nobelpreise: Gabriel García Márquez (1982), Octavio Paz (1990), Mario Vargas Llosa (2010). Dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Südamerika in letzter Zeit etwas gelitten haben, betrübt Michi Strausfeld. «Dann wollte ich einfach wissen, war das immer so, gab es mal in der Geschichte Momente, wo wirklich Deutsche und Lateinamerikaner ein enges Verhältnis hatten, wer war drüben, was haben sie gemacht. Das war der Ausgangspunkt» (4). Entstanden ist ein lebhaftes Plädoyer für Lateinamerika.

Albert von Brunn (Zürich)

Michi Strausfeld: Die Kaiserin von Galapagos. Deutsche Abenteuer in Lateinamerika.
Berlin: Berenberg, 2025
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(1) Strausfeld, Michi. Die Kaiserin von Galapagos. Deutsche Abenteuer in Lateinamerika. Berlin: Berenberg, 2025, S. 62-64.
(2) Aira, César. Eine Episode im Leben des Reisemalers: Roman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Berlin: Matthes & Seitz, 2016, S. 53.
(3) García Márquez, Gabriel. Hundert Jahre Einsamkeit: Roman. Aus dem Spanischen neu übersetzt von Dagmar Ploetz. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2019.
(4) SWR Kultur

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