Von Hendrik Lasch
Was hätten sich Ikarus und Sisyphos zu sagen, wenn sie sich träfen? Übermütiger Himmelsstürmer der eine, mit großer Geste aufbegehrend, wagemutig alles auf eine Karte setzend, um grandios zu scheitern; ein beharrlich-zäher Arbeiter der andere, der den Stein im Schweiße seines Angesichts auf den Berg hinaufwuchtet und doch schon weiß, dass er wieder und wieder zu Tale rollen wird. Im Bild von Ronald Paris sind sie sich begegnet – und schauen sich stumm in die Augen: Ikarus mit milder Herablassung, in der Pose des jugendlichen Rebellen die Flügel lupfend, Sisyphos mit Augen, die zu staunen, aber auch das Erschrecken über den jähen Sturz vorwegzunehmen scheinen. Der eine wird für Aufsehen sorgen: durch Tat und Tod. Der andere hält den Stein am Rollen.
Mit seinem 2005 entstandenen Bild hat Paris den Mythos gewissermaßen weitererzählt. In dessen überlieferter Form kreuzt sich Ikarus' Weg nicht mit dem des Sisyphos, ebensowenig wie mit dem von Kassandra, deren zermürbendes Schicksal es ist, die Wahrheit zu kennen, aber kein Gehör zu finden. Diese beiden brachte Klaus Süß in einem 1986 geschaffenen Farbholzschnitt zusammen. Er vereinte damit auf einem Blatt die beiden Vertreter aus dem antiken Mythenarsenal, die wohl nicht zufällig zu den präsentesten in der DDR jener Tage gehörten: einen Fliehenden und eine Wissende, der freilich niemand Glauben schenkt.
Überhaupt sind Kassandra, Sisyphos und die anderen Helden des antiken Mythos häufige Gäste in der DDR-Kunst. Peter Arlt spricht gar von einer »in Europa einzigartigen Kumulierung«. ...
è weiterlesenAusstellung: 5. November 2010 bis 28. Februar 2011
è Willi-Sitte-Galerie Merseburg
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