Es gibt Dinge, die kann man einfach nicht verstehen. So heute geschehen: Ein süddeutsches Auktionshaus bietet auf einer weltberühmten Versteigerungsplattform folgenden Artikel für 9,00 Euro im Sofortkauf an: „Portrait von Albert von Wallenstein (1583 - 1634). Feldherr, Verräter, Friedensvisionär. Zeitungsausschnitt aus der oder aus einer Stuttgarter Zeitung, erschienen im Kulturteil, anlässlich einer Ausstellung über Wallenstein im Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg, 2009. Blattgröße: ca. 21 x 28,5 cm. Ansicht: ca. 11,7 x 9 cm. Einmal gefaltet, rote Kugelschreiberspuren.“
Ausriss des erwähnten Zeitungsartikels, Abb. © Abel Doering |
Wohlgemerkt, es wird hier nur ein Zeitungsausschnitt, nicht das eigentliche Original Porträt angeboten. Bei einem eventuellen Erwerb bietet der Verkäufer einen kostenlosen Standardversand an. Immerhin. Das mag vielleicht den einen oder anderen anlocken, mich überzeugt es trotzdem nicht. Überhaupt stellt sich für mich die ernsthafte Frage, wer in Gottes Namen, gibt 9,00 Euro für einen wertlosen Zeitungsausschnitt von 2009 aus? Ich bin ratlos. Da hilft es auch nicht weiter, wenn der Artikel in der Rubrik „Original ab 2000“ gelistet wird. Eigentlich werden hier moderne Drucktechniken wie: Holzschnitte, Linolschnitte, Lithographien, Monotypien, Serigraphien und Siebdrucke angeboten. Aber ein Zeitungsausschnitt? Jetzt darf man nicht den törichten Fehler begehen und dem Verkäufer unterstellen, hier handele es sich um ein Missverständnis, oder gar noch schlimmer, er hätte nicht gewusst, was er da überhaupt verkaufe. Das wäre unfair. Vielmehr hat er genau gewusst, was er anbietet. Und mit Sicherheit weiß er über exotische und damit auch irgendwie neue Sammelgebiete besser Bescheid als ich! Mein Beruf „Antiquar“ bietet seit knapp zwei Jahrzehnten, fast wöchentlich, neue Überraschungen. Aber so einen delikaten Fall, wie den hier beschriebenen, kannte ich bisher noch nicht. Alles Jammern hilft nicht weiter, es gilt ehrlich, zu sein: Ich komme damit nicht klar! Da helfen mir auch meine Jahrzehnte an Berufserfahrung nicht. Es ist, wie es ist! Und es ist schlimm: Ich habe die entscheidenden Zeichen der Zeit verpennt und dadurch ist mir vermutlich so mancher lukrative Gewinn entgangen! Seit heute bin ich mir sicher: Es muss ein oder vielleicht gar mehrere, ganz neue Sammelgebiete im Antiquariatsbuchhandel geben, von denen ich bisher überhaupt nichts wusste. Nein, noch nicht einmal etwas ahnte! Vielleicht nennt sich dieses hier beschriebene Sammelgebiet schlicht und einfach nur „Altpapier“. Aber Vorsicht! Dies kann ganz schnell auch wieder zu Missverständnissen führen. Gut, spöttisch und auch etwas von „oben herab“ heißt es in der Antiquariatsbranche immer, „dies oder jenes“ sei eigentlich nur wertloses Altpapier. Gemeint sind damit, minderwertige Bücher im Verkaufsbereich von wenigen Cent, vielleicht auch Massenauflagen oder Taschenbücher für 1-2 Euro je Stück, die aufgrund der Häufigkeit, keine Interessenten mehr finden. Ab sofort ist dieser Spruch überholt, quasi selbst Makulatur geworden. Jetzt sind Zeitungsausschnitte, wirkliches Altpapier, anstatt wie bisher, geringwertige Bücher, zu einem ernsthaften Verkaufsgegenstand und Sammelgebiet geworden. Der Vorfall hat mich kaufmännisch wachgerüttelt. Schnell rannte ich in den Keller hinunter. Dort lagern in großen Mengen gebündelt, alte Ausgaben vom „Darmstädter Echo“ der letzten Jahre. Aufgeregt kehrte ich zu meiner Frau zurück. „Du glaubst gar nicht, welche Schätze da unten liegen!“, rief ich entzückt. Entsetzt blickte sie mich an.
(Michael Eschmann)
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