In Hendrik Lierschs Arbeitszimmer sitzt ein Rabe, ein ausgestopfter, an der Decke unterm Oberlicht und schaut auf den kleinen, runden, vom Leben gezeichneten Holztisch, an 'dem schon Paul Celan gesessen hat. Vielleicht schielt er auch zu dem Foto, das an der Bilderwand über dem Tisch hängt. Man weiß es nicht genau. Die Aufnahme zeigt das rundliche, offene Gesicht eines älteren Herren in Schwarz-Weiß: Victor Otto Stomps. Seit fast 40 Jahren hat Liersch zu diesem Verleger, Drucker, Dichterfreund, Talententdecker, Berliner Original und bibliophilen Kauz alles zusammengetragen, was sich finden lässt. (...) Die Verehrung geht soweit, dass er seinen kleinen, feinen Verlag Corvinus Presse genannt hat. Corvinus von lateinisch: Rabe, von Rabenpresse. So hieß Stomps' erstes Unternehmen. (...)
Seine frühen Sachen entstehen mit einer Handpresse. Weil sie krächzt und ihm im Suff als riesiger Rabe erscheint, nennt er seinen Verlag Rabenpresse. Sich den abseitigen, ausgeschlossenen Büchern zu widmen, erhebt er nun zu seiner Lebensaufgabe. Als Erstes bringt er mit Eberhard Heinatsch die Zeitschrift „Der Fischzug. Monatsblätter zur Förderung werdender Literatur" heraus, später das Literaturblatt „Der weiße Rabe". Der notorisch klamme Stomps veröffentlicht junge Talente, die bald literarischen Ruhm genießen: Peter Huchel, Günter Eich, Bertolt Brecht, Gottfried Benn, Georg Zemke ...
Ihn hat Hendrik Liersch noch persönlich kennengelernt - durch seinen Vater, den Literaturwissenschaftler Werner Liersch, der im vergangenen Jahr gestorben ist. Mit Zemke traf sich Henrik Liersch Ende der 70er-Jahre alle 14 Tage zum tiefsinnigen Gespräch. Der Dichter spendierte dem Jungen eine Zigarette und einen Kaffee - er selbst rauchte nicht mehr, wollte aber ein bisschen schnuppern. Nach dem gemütlichen Teil begann der Vortrag über Literatur und Stomps. Dabei hat sich Liersch, er war damals 16, den Stompsvirus eingefangen. Er hört von einem Verleger, der die lyrische Avantgarde Berlins umsorgt (...). Als Hannah Hoch nicht mehr ausstellen darf, weil ihre Kunst als entartet diffamiert ist, lässt Stomps sie noch Bücher illustrieren. Doch als er Getrud Kolmars „Preußische Wappen" druckt, stellen die Nazis ihn als Verleger kalt. 1937 verkauft er gezwungenermaßen seinen ruinierten Verlag.
1939 wird er Soldat und bleibt es bis zur deutschen Kapitulation, wird bis zum Oberstleutnant befördert und kommandiert eine schwere Artillerieabteilung. Im Kriegsgefangenenlager in Frankreich macht er schon wieder Bücher auf miesem Papier. 1949 gründet er in Frankfurt am Main einen neuen Verlag, die Eremiten-Presse. Mit ihr zieht er 1954 nach Stierstadt in den Taunus. Mehr 240 Bücher veröffentlicht er, bis er 1967 aus diesem Unternehmen aussteigt, um endgültig nach Berlin zurückzukehren und dort mit der Neuen Rabenpresse seinen letzten Verlag zu führen. Am 4. April 1970 stirbt Stomps im Alter von 72 Jahren in Berlin. 20 Jahre später gründet Liersch am selben Ort seine Corvinus Presse und nutzt dafür zeitweise Räume, in denen Stomps Bücher machte.
Hendrik Liersch zeigt das „Spiel-& Polterbuch" von Günter Bruno Fuchs, das Victor Otto Stomps auf Wellpappe druckte. Foto: MOZ/Uwe Stiehler |
Auch Lierschs Arbeit haftet etwas Stomp'sches an: Er druckt von Hand kleine Auflagen von Bänden, die bildende Kunst und Lyrik vereinen. Vorbild dafür sind Ausgaben wie das „Stierstädter Gartenbuch", das der Dichter Dieter Hoffmann mit Horst Antes gestaltete, lange bevor der ein Weltstar der Kunstszene wurde. Auch Klaus Staeck, der scheidende Präsident der Berliner Akademie, hat, bevor man ihn kannte, Stomps' Bücher veredelt. (...)
(Uwe Stiehler)Quelle: Märkische Oderzeitung/Brandenburger Blätter 26.6.2015
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen