Hermann Glöckner: Übereinander auf Rot, 1968 © SMB, Kupferstichkabinett |
Die Neue Nationalgalerie am Berliner Kulturforum nahe dem Potsdamer Platz gibt seit über einem Jahr einen komplexen Überblick über ihre Sammlung zur Kunst von 1945 bis 1968: »Der Geteilte Himmel«. Einige wenige Quadratmeter sind dabei Zeichnung und Grafik aus dem Berliner Kupferstichkabinett zugebilligt worden. Dort ist seit Mitte Januar ein Wechsel zu verzeichnen. Wo vorher Arbeiten Gerhard Altenbourgs zu sehen waren, wird jetzt Druckgrafik von sechs Dresdener Meistern dieses Zeitabschnitts geboten.
Es geht also um die Nachkriegszeit. Eine Stimmung schimmert auf. Intime Druckgrafik tritt in Beziehung zur »Großen« Kunst. Insgesamt dreißig Blätter, nun gut. Im Vergleich zu den Großbildern ringsum halten diese kleinen Formate unbestreitbar stand. Die Namen Wilhelm Rudolph, Hermann Glöckner, Wilhelm Lachnit, Hans Theo Richter, Hans Körnig und Gerhard Kettner sind über jeden Zweifel erhaben. Die vorwiegend aus dunkeltonigen Aquatinten und Lithografien bestehenden Reihung vermittelt eine noble verhaltene Monotonie. Rudolphs Holzschnitte, immer wieder gezeigt als Paradebeispiele vom Trümmerchaos, wirken da geradezu licht. Glöckner gibt sich in diesen frühen Abstraktionen fast noch gehemmt. Lachnits grafische Stillleben ruhen so in sich, dass sie die Ausstrahlung seiner Ölbilder nicht erreichen. Zweimal Körnig ist zu wenig. Kettner war von Anfang an der sensible Zeichner - man spürt es hier kaum. Richter erfasst hier statisch die Faszination der Silhouetten von Frauen und Kindern - man kennt bewegtere Beispiele.
Die Künstler werden in einem kurzen Begleittext knapp beschrieben. Ohne politisch korrekte Wortwahl geht es offenbar nicht. Da wird stets die »jahrelange Diffamierung« Lachnits als alleiniges Erkennungsmerkmal wiederholt. Richter ist zu loben, weil er »eine von politischen Vorgaben unabhängige Sprache« pflegte. Sein Schüler Kettner »adaptierte« angeblich nur dessen Vorliebe für das Körperliche. Die im Dresdner Atelier zurückgelassenen Werke Körnigs, seit 1961 ganz unbeachtet im Westen lebend, »blieben bis zur Wiedervereinigung unter Verschluss«. Ja, wo denn sonst? Und den Vogel schießt man regelmäßig bei Glöckner ab: Er habe »abseits öffentlicher Wahrnehmung« gearbeitet, und erst »nach der Wende« sei er gewürdigt worden.
Warum diese offenkundige Lüge? Lothar Lang schrieb bereits 1969 über ihn, dass er »das Glück hat, von vielen Sammlern geschätzt zu werden: seine Werke hängen nicht nur in den Museen, sondern auch in Wohnungen in Dresden, Halle oder Berlin«. Spätestens seit 1977 gab es einen regelrechten Glöckner-Boom. Die großen Dresdner Ausstellungen feiern ihn: VIII. 5 Exponate, IX. 3 Exponate, X. 3 Exponate, jeweils keineswegs versteckt, eher als Blickfang, und mit farbigen Abbildungen in den Katalogen. 1979 Personalausstellung Altes Museum Berlin, 1984 Kunstsammlungen Dresden. 1983 Buch John Erpenbeck »Ein Patriarch der Moderne«. 1984 Nationalpreis und Film (Regisseur Jürgen Böttcher). Vehement erstritten, steht seitdem überlebensgroß sein »Mast mit zwei Faltungszonen« vor der TU Dresden.
Traurig, aber wahr, wie schwer es die simpelste Wahrheit von gestern hat, heute wahrgenommen zu werden.
Überhaupt ergibt sich die große Frage: Was eigentlich ist an Zeichnung und Druckgrafik aus den 45 Jahren Kunstschaffen in Berlin und Umland, genannt SBZ und DDR, in diesem Haus gesammelt? Diese dreißig Dresdner Beispiele sind ein ganz kleiner Anfang. Da gibt es fraglos mehr zu entdecken. Von vielen offiziellen und halboffiziellen Ausstellungen wanderten Blätter in die grafische Vorzeigesammlung der DDR in Berlin. Kesse Privatinitiativen der Kuratorin des Mini-Kabinetts neben der Rotunde des Alten Museums brachten der Sammlung das junge Unangepasste. Jährliche Grafik-Wettbewerbe des Staatlichen Kunsthandels mit höchst modernem Anspruch sorgten mit Belegexemplaren für Nachschub.
Leider nie in einem Katalog komplett erfasst, wurde alles im Einigungsprozess mit den Westbeständen zusammengeführt. Diese waren unter der Ägide des ganz der Gegenwart zugewandten Alexander Dückers ebenfalls mustergültig sortiert. Was hätte näher gelegen, als in den letzten zwei Jahrzehnten darüber Rechenschaft abzulegen? Immerhin hat man die einzige paritätisch zwischen West und Ost ausbalancierte Kollektion in Deutschland. 1994 zog man in die prachtvoll für Magazinierung und Präsentation geeigneten Räume am Kulturforum. Projekte aber, die den zusammengeführten Bestand präsentiert hätten, ließen auf sich warten (um die Malerei und Plastik tobte der »Bilderstreit«). 2002 ging Dückers in Ruhestand. Nachfolger Heinrich Schulze Altcappenberg setzte dann Glanzlichter ferner Vergangenheit. Botticelli, Grünewald und (jetzt gerade abgelaufen) Schinkel. Höchst ehrbar. Aber wir leben heute. Wir sind Erben des gerade vergangenen Gestern.
Wann endlich wird dieser Fundus öffentlich zugänglich gemacht? Warum kann Berlins Kupferstichkabinett nicht leisten, was andere Kabinette in Deutschland und anderswo selbstverständlich bieten? Die Kunsthalle Hamburg etwa macht da einiges vor. Fantastische Räume stehen im verwöhnten Berlin zur Verfügung. 2010 ging die Kunstbibliothek voran, indem sie die aus eigenem Fundus bestrittene Schau »Schrift als Bild« mit »Welt aus Schrift« aus Kabinett-Beständen ganz prachtvoll ergänzte. Die Bibliothekarin Anita Kühnel hatte da mit dem Grafik-Spezialisten Michael Roth eine eindrucksvolle Übersicht inszeniert, sogar mit dem »Wagnis«, auch auf die sogenannten Ostkünstler zurückzugreifen.
Was nun? Die letzte einst aus dem Personalbestand Ost übernommene Expertin ist Anita Beloubek-Hammer. Zur Zeit bereitet sie die Übersicht über Zeichnung und Druckgrafik des Picasso-Bestandes der Sammlung vor. Ihr Forschungsprojekt des Grafikvergleichs aus beiden deutschen Staaten liegt noch auf Eis. 2015 erst soll das Tauwetter einsetzen. Da dürfen sich endlich beide Seiten in ihren besten Blättern begegnen: Horst Janssen Werner Tübke, Paul Wunderlich Peter Sylvester, Otto Pankok Arno Mohr, Hanne Darboven Herta Günther, Günter Fruhtrunk Michael Morgner. Und es wird ausnahmsweise einmal eine ganz besondere Sonne über dem Berliner Kulturforum aufgehen. Dürfen wir daran glauben?
(Harald Kretzschmar)
Die Studioausstellung »Dresdener Graphiker in der Nachkriegszeit« des Kupferstichkabinetts in der Neuen Nationalgalerie Berlin ist bis zum 28. April zu sehen.
Es geht also um die Nachkriegszeit. Eine Stimmung schimmert auf. Intime Druckgrafik tritt in Beziehung zur »Großen« Kunst. Insgesamt dreißig Blätter, nun gut. Im Vergleich zu den Großbildern ringsum halten diese kleinen Formate unbestreitbar stand. Die Namen Wilhelm Rudolph, Hermann Glöckner, Wilhelm Lachnit, Hans Theo Richter, Hans Körnig und Gerhard Kettner sind über jeden Zweifel erhaben. Die vorwiegend aus dunkeltonigen Aquatinten und Lithografien bestehenden Reihung vermittelt eine noble verhaltene Monotonie. Rudolphs Holzschnitte, immer wieder gezeigt als Paradebeispiele vom Trümmerchaos, wirken da geradezu licht. Glöckner gibt sich in diesen frühen Abstraktionen fast noch gehemmt. Lachnits grafische Stillleben ruhen so in sich, dass sie die Ausstrahlung seiner Ölbilder nicht erreichen. Zweimal Körnig ist zu wenig. Kettner war von Anfang an der sensible Zeichner - man spürt es hier kaum. Richter erfasst hier statisch die Faszination der Silhouetten von Frauen und Kindern - man kennt bewegtere Beispiele.
Die Künstler werden in einem kurzen Begleittext knapp beschrieben. Ohne politisch korrekte Wortwahl geht es offenbar nicht. Da wird stets die »jahrelange Diffamierung« Lachnits als alleiniges Erkennungsmerkmal wiederholt. Richter ist zu loben, weil er »eine von politischen Vorgaben unabhängige Sprache« pflegte. Sein Schüler Kettner »adaptierte« angeblich nur dessen Vorliebe für das Körperliche. Die im Dresdner Atelier zurückgelassenen Werke Körnigs, seit 1961 ganz unbeachtet im Westen lebend, »blieben bis zur Wiedervereinigung unter Verschluss«. Ja, wo denn sonst? Und den Vogel schießt man regelmäßig bei Glöckner ab: Er habe »abseits öffentlicher Wahrnehmung« gearbeitet, und erst »nach der Wende« sei er gewürdigt worden.
Warum diese offenkundige Lüge? Lothar Lang schrieb bereits 1969 über ihn, dass er »das Glück hat, von vielen Sammlern geschätzt zu werden: seine Werke hängen nicht nur in den Museen, sondern auch in Wohnungen in Dresden, Halle oder Berlin«. Spätestens seit 1977 gab es einen regelrechten Glöckner-Boom. Die großen Dresdner Ausstellungen feiern ihn: VIII. 5 Exponate, IX. 3 Exponate, X. 3 Exponate, jeweils keineswegs versteckt, eher als Blickfang, und mit farbigen Abbildungen in den Katalogen. 1979 Personalausstellung Altes Museum Berlin, 1984 Kunstsammlungen Dresden. 1983 Buch John Erpenbeck »Ein Patriarch der Moderne«. 1984 Nationalpreis und Film (Regisseur Jürgen Böttcher). Vehement erstritten, steht seitdem überlebensgroß sein »Mast mit zwei Faltungszonen« vor der TU Dresden.
Traurig, aber wahr, wie schwer es die simpelste Wahrheit von gestern hat, heute wahrgenommen zu werden.
Überhaupt ergibt sich die große Frage: Was eigentlich ist an Zeichnung und Druckgrafik aus den 45 Jahren Kunstschaffen in Berlin und Umland, genannt SBZ und DDR, in diesem Haus gesammelt? Diese dreißig Dresdner Beispiele sind ein ganz kleiner Anfang. Da gibt es fraglos mehr zu entdecken. Von vielen offiziellen und halboffiziellen Ausstellungen wanderten Blätter in die grafische Vorzeigesammlung der DDR in Berlin. Kesse Privatinitiativen der Kuratorin des Mini-Kabinetts neben der Rotunde des Alten Museums brachten der Sammlung das junge Unangepasste. Jährliche Grafik-Wettbewerbe des Staatlichen Kunsthandels mit höchst modernem Anspruch sorgten mit Belegexemplaren für Nachschub.
Leider nie in einem Katalog komplett erfasst, wurde alles im Einigungsprozess mit den Westbeständen zusammengeführt. Diese waren unter der Ägide des ganz der Gegenwart zugewandten Alexander Dückers ebenfalls mustergültig sortiert. Was hätte näher gelegen, als in den letzten zwei Jahrzehnten darüber Rechenschaft abzulegen? Immerhin hat man die einzige paritätisch zwischen West und Ost ausbalancierte Kollektion in Deutschland. 1994 zog man in die prachtvoll für Magazinierung und Präsentation geeigneten Räume am Kulturforum. Projekte aber, die den zusammengeführten Bestand präsentiert hätten, ließen auf sich warten (um die Malerei und Plastik tobte der »Bilderstreit«). 2002 ging Dückers in Ruhestand. Nachfolger Heinrich Schulze Altcappenberg setzte dann Glanzlichter ferner Vergangenheit. Botticelli, Grünewald und (jetzt gerade abgelaufen) Schinkel. Höchst ehrbar. Aber wir leben heute. Wir sind Erben des gerade vergangenen Gestern.
Wann endlich wird dieser Fundus öffentlich zugänglich gemacht? Warum kann Berlins Kupferstichkabinett nicht leisten, was andere Kabinette in Deutschland und anderswo selbstverständlich bieten? Die Kunsthalle Hamburg etwa macht da einiges vor. Fantastische Räume stehen im verwöhnten Berlin zur Verfügung. 2010 ging die Kunstbibliothek voran, indem sie die aus eigenem Fundus bestrittene Schau »Schrift als Bild« mit »Welt aus Schrift« aus Kabinett-Beständen ganz prachtvoll ergänzte. Die Bibliothekarin Anita Kühnel hatte da mit dem Grafik-Spezialisten Michael Roth eine eindrucksvolle Übersicht inszeniert, sogar mit dem »Wagnis«, auch auf die sogenannten Ostkünstler zurückzugreifen.
Was nun? Die letzte einst aus dem Personalbestand Ost übernommene Expertin ist Anita Beloubek-Hammer. Zur Zeit bereitet sie die Übersicht über Zeichnung und Druckgrafik des Picasso-Bestandes der Sammlung vor. Ihr Forschungsprojekt des Grafikvergleichs aus beiden deutschen Staaten liegt noch auf Eis. 2015 erst soll das Tauwetter einsetzen. Da dürfen sich endlich beide Seiten in ihren besten Blättern begegnen: Horst Janssen Werner Tübke, Paul Wunderlich Peter Sylvester, Otto Pankok Arno Mohr, Hanne Darboven Herta Günther, Günter Fruhtrunk Michael Morgner. Und es wird ausnahmsweise einmal eine ganz besondere Sonne über dem Berliner Kulturforum aufgehen. Dürfen wir daran glauben?
(Harald Kretzschmar)
Die Studioausstellung »Dresdener Graphiker in der Nachkriegszeit« des Kupferstichkabinetts in der Neuen Nationalgalerie Berlin ist bis zum 28. April zu sehen.
© ND, Online-Ausgabe vom 11.2.201
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