Mittwoch, 7. Mai 2008

ÖNB - Blutige Geschichte(n)


Ein kulturhistorischer Streifzug durch die Welt der Verbrechen

Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
8. Mai bis 2. November 2008

Blut gehört zum Kitt der Weltgeschichte (Theodor Fontane). Geschichte wird über weite Strecken von Kriegen, Völkermorden oder auch Attentaten bestimmt. Das geschriebene Wort bildet neben dem mündlichen Tradieren und Bildquellen eine Voraussetzung für die Überlieferung von Geschichten.

Die Ausstellung im Prunksaal thematisiert anhand eines kulturhistorischen Streifzugs das Phänomen Gewaltverbrechen mit den verschiedenen Ursachen und Folgen, wobei die Vielfalt der Sammlungen der Österreichischen National-bibliothek unterschiedliche Zugänge ermöglicht: Kostbare Handschriften, Bücher und Fotomaterial belegen das besondere Interesse der Menschheit an dem weitläufigen Thema, das vom Attentat über Heiligenmartyrien, Kannibalismus, Lynchjustiz, Meuchel- und Ritualmorde bis hin zum Völkermord reicht. Ein Grund für das Interesse am Thema liegt in der Natur des Menschen selbst, wie schon Goethe mutmaßte:
"Ich kann mir kein Verbrechen vorstellen, das nicht auch ich hätte begehen können!"

Unterschiedlich wie die Gewaltverbrechen selbst, erweisen sich die Beweggründe: „Aus der richtigen Perspektive betrachtet, verdient jeder Mensch den Tod." (Jack London). Die facettenreiche Ausstellung, die neben theologischen Aspekten auch das weite Feld der Rechts-, Kunst- und Kulturwissenschaften, der Ethnologie und Soziologie betritt, gewährt auch drastische Einblicke in das Polizei- und Gerichtswesen. So wie sich die Geschichtsschreibung als eine Abfolge kriegerischer Konflikte liest, basiert die aktuelle Tagesberichterstattung auf immer neuen kriminellen Episoden, wobei Mord und Totschlag die Schlagzeilen bestimmen – Bad news are good news. Blutige Geschichten finden sich in allen gesellschaftlichen Schichten, die Gründe für Mord und Totschlag sind in den großen Menschheitsmythen vorgezeichnet: Hass, Rache, Neid, Eifersucht, Missgunst, Ausgrenzung oder politisches Kalkül.

Mit dem biblischen Brudermord Kains an Abel werden die BesucherInnen in das Thema eingeführt. Gewalt richtet sich in der Folge auch gegen die ersten unbeirrbaren Nachfolger Christi, das weite Feld der Heiligenmartyrien ist in zahlreichen prachtvollen Handschriften dokumentiert.

Die Gründe für Menschenopfer, Ritualmord und Kannibalismus bilden weitere Anknüpfungspunkte zum Thema, das hier religiöse Absichten mit ethnologischen Traditionen verknüpft. In allen wichtigen Mythen finden sich Menschenopfer – zumeist als höchste Loyalitätsbezeugung gegenüber göttlichen Mächten, wobei sich der Bogen von Abraham und Isaak bis hin zu Iphigenie spannen lässt. Die antike wie auch nordische Mythologie stellen Heldengestalten wie etwa Odysseus, Achilleus oder Siegfried vor, die sich nicht nur durch besonderen Mut, sondern oft auch durch atemberaubende Grausamkeit im Kampf auszeichnen. Diese Präfigurationen des Heldentypus prägten Generationen und bringen immer neue, noch blutrünstigere Nachahmer hervor.
Starke Frauen mit ihren sprichwörtlichen „Weiberlisten“ stehen zwar im Schatten dieser Heldengestalten, führten aber ebenso bizarre Morde aus – oft an mächtigen bzw. physisch überlegenen Männern: Dalila bringt etwa den Riesen Samson zu Fall, Judit den Feldherrn Holofernes, Salome den heiligen Johannes. Auf der Verliererseite standen hingegen Frauen, wenn der Verdacht des Hexenzaubers erhoben wurde.

Die Frage nach einem gerechten Mord an Despoten, Tyrannen, Diktatoren und sonstigen Machthabern, die sich als Schlächter und Menschenverächter entpuppen, stellte sich ebenfalls schon früh in der Menschheitsgeschichte. Die Bandbreite reicht vom Tyrannenmord in der Antike bis zum Attentat. In der Ausstellung werden Opfer und Täter thematisiert, die Heroisierung von Attentatsopfern (z.B. Kaiserin Elisabeth von Österreich in Genf, 1898) oder auch die Instrumentierung von missglückten Attentaten als Zeichen göttlicher Fügung.

In der Folge wendet sich die Schau dem weiten Feld der Kriminalistik zu – mit Verbrecherkarrieren, Verbrecherphysiognomien, dem Polizeiwesen mit seinen technischen Fortschritten, der Rechtssprechung oder auch dem Gewaltmonopol des Staates.

So wie die Literatur nahmen sich auch die Medien bald der Welt des Verbrechens an, wobei das Interesse nicht allein dem Verbrechen galt, sondern auch dem Täter und seinen Motiven. Im Zuge der Aufklärung spielte man sich von moralisierenden Zwängen frei, um sich der genial-bestialischen Seite des Verbrechers zuwenden zu können. Damit war die Geburtsstunde des Kriminalromans eingeläutet. Neugierde, Sensationslust, kaltes Schaudern oder geheime Bewunderung für besonders raffiniert eingefädelte Gewalttaten bzw. „geniale Schlechtigkeit“ sind die Ingredienzien, die schließlich der Gattung des Kriminalromans den bis heute ungebrochenen Erfolg brachten.
Die sich im 20. Jahrhundert etablierenden neuen Medien, wie Film, Radio, Fernsehen, Videospiele besiegelten den Triumph des Krimis als quotensicheres, einträgliches Unterhaltungsmedium. So produzieren SchreibtischtäterInnen unermüdlich neue Fälle: Seit Lucrezia Borgia bin ich die Frau, die am meisten Menschen umgebracht hat, allerdings mit der Schreibmaschine (Agatha Christie (1890-1976).

Den Abschluss der Ausstellung bildet eine Gegenüberstellung von Gewalt-phantasien und Friedensutopien mit Mahatma Gandhis Warnung:
„Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein.“

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Österreichische Nationalbibliothek
Tel. (+43 1) 534 10-270
Ausstellung: 8. Mai – 2. November 2008

Das Buch zur Ausstellung ist an der Prunksaalkasse und im Buchhandel erhältlich (EUR 19,90)

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