Mittwoch, 3. Juli 2024

Babylon Transit

Hartmut Andryczuk brachte in bewährter Zusammenarbeit mit Anna Hoffmann im Hybriden-Verlag das Künstlerbuch Babylon Transit heraus.
Polaroid von Anna Hoffmann, 2023
Babylon, das antike, jedenfalls kurz über dem Erdboden, echt alte Babylon, begann der deutsche Architekt und Bauforscher Robert Koldewey 1899 auszugraben, 1917 endeten die Arbeiten mit dem Einmarsch der britischen Truppen in Bagdad im Zuge des Ersten Weltkrieges. 10 % der Anlagen wurden bisher freigelegt. Die gut erhaltenen über zweitausend Jahre alten Ziegel trugen Einheimische gern zum Bau eigener Häuser ab in den vier Dörfern rechts und links des alten Babylon, ein anderer großer Teil des antiken Materials wurde in den Bau von Staudämmen integriert, erzählte mir ein Babylonier. Und Saddam Hussein ließ die antiken Funde aufmauern, natürlich nicht ohne analog zum König Nebukadnezar II. im Ischtar-Tor, eine Inschrift mit seiner Ruhmestat in etlichen der neuen Ziegel reinzuklotzen. Die Kopie des Tors, das echte steht ja im Pergamon-Museum in Berlin, wurde von Norden nach Süden verlegt, als Eingang für die Besucher des Südpalastes. Trotz aller Gedanken über echt-alt-neu-und-Kopie ist Babylon ein erhabenes, majestätisches und faszinierendes Zeugnis alter Hochkultur. Und tatsächlich kann man auf dem Gelände einfach so tausende Jahre alte gemusterte Scherben finden und Stücke mit der schwarzen Glasur von Vorratsbehältern, umso schwerer diese kleinen Wunder nicht in die Hosentasche gleiten zu lassen. Es ist aber keine gute Idee dafür irakisches Gefängnis zu riskieren. Ich habe die beiden Stücke fotografiert und nicht mehr auf den Boden gekuckt. Es war mir arg. Der Guide, ein Babylonier, schenkte mir als Trost ein Souvenir, einen Behang von dem Kronleuchter aus Saddams Schlafzimmer in dem gestürmten Palast, der in Sichtachse zur antiken Fundstätte steht. Ein seltsames Souvenir, es lag mir in der Hand wie ein vergammelter Backenzahn.
insuffizienz

ich versteh nichts, gar nichts, nicht mal die fahrt vom flughafen zum hotel.
nicht die schlafriesen, die mit ihren wimpern gebete klimpern. nicht den mond
über bagdad, der den muezzin ruft, nicht den muezzin, der leuchtbuchstaben

sendet, nicht die krähen in den mg-nestern, nicht die hühner und auch nicht
die palmen im smog. ich sammel ihre geisterflecken ein: abdrücke von träumen
in der luft. sammle nicht lesbare häuserzeilen – legenden ohne erklärung –

arabische spitze, jenes biegsame licht, das sich um meinen hals legt.
notiere „hochzeiten unten, puff oben, dazwischen die dichterInnen“ im hotel al-mansur
und „die stadt ist reich an details der zerstörung“, „der tigris gestresst“

und ich kritzel, was mich kitzelt und andauernd pocht es als ob – ob – ob
ja ich weiß, es ist besser, ich halte die hand vor den mund, wenn ich rede.
ich verstehe nichts.

56 Seiten, gebunden
Text, Gedichte, Polaroids: Anna Hoffmann
Zeichnungen: Hartmut Robert Andryczuk
Übersetzung der Gedichte ins Englische: Catherine Hales
Auflage: 30 Exemplare,
nummeriert und signiert
450 €

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