Dienstag, 11. Mai 2010

Xylothek

Die Künstlerbibliothek in Zigarrenkistenformaten
Carl Schildbach schaffte ab 1780 mit seiner Holzbibliothek den Prototyp einer sogenannten Xylothek.
(Xylon, gr. = Holz/Theke, gr. = Aufbewahrungsort.)530 „Scheinbände“ kann man bis heute im Naturkundemuseum in Kassel besichtigen. „Nach selbstgewähltem Plan“ ordnete Schildbach sämtliche Holzgewächse der Gegend enzyclopädisch und bereitete sie auf „für eine anschauliche Betrachtung“.

Aus der Museumsbroschüre 2001: „Dabei wird aus jeder einzelnen Baum- oder Strauchart eine Art Scheinbuch gebildet, dessen Äußeres aus Holz und Rinde besteht, während im Innern die jeweiligen Blätter, Blüten und Früchte dreidimensional vorgestellt sind. Eingeklebte Legenden enthalten das damalige forstbotanische Wissen zur jeweiligen Art.“

(Marion Gültzow)
Marion Gültzow - Das Projekt Xylothek
Mit diesem Bild/Wissen vor Augen kehrten fünfzig leere Zigarrenkisten aus einer Umzugshinterlassenschaft einer stillen Betrachterin auf einmal ihren Rücken zu und entfalteten mit dieser neuen Aufstellung sogleich ihre Bibliothekstauglichkeit. Das Hölzerne war naturgemäß äußere Erscheinung. Bunte Banderolen und Steuermarken bebilderten die Wirklichkeit des längst verrauchten Inhalts, und die Todeswarnungen waren ein beharrlicher Hinweis auf die Möglichkeit gelebten Lebens.

Kinder und Freizeit-Insektenforscher benutzen sie gerne, die Zigarrenkisten als Aufbewahrungsort für ihre Schätze: Flüchtiges der Tagesjagden, Erlebtes und Geträumtes mit dem Schmetterlingsnetz der Seele gefangen. Die Einen jagen aus Lust an der Bewegung und der Selbstentdeckung, die Anderen aus Lust am Festhalten und Systematisieren. Beide der Verlockung gehorchend, durch Besitz ein Stückchen Weltbeherrschung zu erlangen.

Die bearbeiteten Zigarrenkisten der Xylothek bewahren und bringen an das Licht der Tage gleichermaßen: Schätze/Früchte künstlerischer Auseinandersetzung mit Alltagsmaterialien aller Art. Bürolandschaften und Querschiffe am Horizont neuer Aufenthaltsmöglichkeiten, ankern jenseits von Steuermarken und Todeswarnungen. Allerdings nicht der Bibliothek eines leidenschaftlichen Buchbinders verpflichtet, wie von Wolfgang Hildesheimer sie in seinem Roman „Masante“ beschrieben: „Sie war voller Schätze, Bücher aus herrlichen handgeschöpften Papieren, Pergamente wie geschaffen für Apokryphes oder Palimpseste, zartfarbene Vorsatzpapiere in alten Mustern, Bücher seltsamer Formen, oval und sechseckig, Arbeiten eines Lebens, und die Seiten alle leer. In seiner gesamten Bibliothek stand nicht ein einziges Wort.“
Ausstellung als Bibliotheksinstallation 2010
im Foyer der Wunderkammer in den
è
Franckeschen Stiftungen zu Halle
Eröffnung: Donnerstag, 30. September 2010, 19.00 Uhr
Ausstellung 1. Oktober 2010 bis 23. Januar 2011
Öffnungszeiten: Di - So 10 - 17

siehe auch è Das Projekt Xylothek
siehe auch è
Von den Holzbibliotheken

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